Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
die Brechung der Supersymmetrie umfasst und mit allen bisherigen experimentellen Daten übereinstimmt. Die Supersymmetrie ist eine ganz besondere Symmetrie, die viele Wechselwirkungen miteinander verbindet und Wechselwirkungen verbietet, die die Quantenmechanik ansonsten erlauben würde. Sobald die Supersymmetrie gebrochen ist, erlangt das »Anarchieprinzip« Geltung. Alles, was geschehen kann, wird auch geschehen. Die meisten Modelle würden Zerfallsprozesse vorhersagen, die entweder in der Natur noch nie beobachtet wurden oder viel zu selten beobachtet werden, um mit den Vorhersagen übereinzustimmen. Aufgrund der Quantenmechanik würde man in ein Hornissennest stechen, sobald die Supersymmetrie gebrochen ist.
Den Physikern könnten auch einfach die richtigen Antworten fehlen. Wir können sicherlich nicht sagen, dass keine guten Modelle existieren oder dass es nicht ein wenig Feinabstimmung gibt. Wenn die Supersymmetrie die richtige Lösung des Hierarchieproblems ist, sollten wir am LHC bald Belege für sie finden. Diese Idee ist es also gewiss wert, weiter verfolgt zu werden. Die Entdeckung der Supersymmetrie würde bedeuten, dass diese exotische neue Raumzeitsymmetrie nicht nur in einer theoretischen Formulierung auf einem Blatt Papier gilt, sondern auch in der wirklichen Welt. Beim Fehlen einer solchen Entdeckung lohnt es sich aber auch, Alternativen zu betrachten. Die erste, die wir uns ansehen werden, wird Technicolor genannt.
Technicolor
In den 1970er Jahren betrachteten die Physiker auch erstmals eine alternative potentielle Lösung des Hierarchieproblems, die Technicolor genannt wird. Modelle dieser Kategorie nehmen Teilchen an, die mittels einer neuen Kraft stark wechselwirken, welche phantasievollerweise als Technicolorkraft bezeichnet wurde. Der Vorschlag bestand darin, dass Technicolor zwar ähnlich wie die starke Kernkraft wirkt (die unter Physikern auch Farbkraft genannt wird), aber Teilchen auf der schwachen Energieskala, und nicht der Skala der Protonenmasse, zusammenbindet.
Wenn Technicolor tatsächlich die Antwort auf das Hierarchieproblem ist, würde der LHC nicht ein einzelnes fundamentales Higgs-Boson erzeugen. Stattdessen würde er einen gebundenen Zustand hervorbringen, so etwas wie ein Hadron, das die Rolle des Higgs-Teilchens spielen würde. Die experimentellen Belege zugunsten von Technicolor wären viele Teilchen, die sich in einem gebundenen Zustand befinden, und viele starke Wechselwirkungen – ganz ähnlich wie die Hadronen, mit denen wir vertraut sind, die jedoch erst bei einer viel höheren Energie in Erscheinung treten – auf oder über der schwachen Skala.
Die Tatsache, dass wir noch keinerlei Belege gefunden haben, stellt eine bedeutende Einschränkung für die Technicolormodelle dar. Wenn Technicolor wirklich die Lösung des Hierarchieproblems ist, würden wir erwarten, dass wir bereits Belege gefunden hätten – obwohl uns natürlich etwas Subtileres entgangen sein könnte.
Darüber hinaus stellt die Modellbildung unter der Annahme von Technicolor eine noch größere Herausforderung dar als unter der Annahme der Supersymmetrie. Das Auffinden von Modellen, die mit allem übereinstimmen, was wir in der Natur beobachtet haben, hat uns vor bedeutende Herausforderungen gestellt, und kein völlig passendes Modell wurde bisher gefunden.
Trotzdem werden die Experimentalphysiker die Augen offenhalten und nach Technicolor und irgendwelchen anderen Belegen für neue starke Kräfte suchen. Aber die Hoffnungen sind nicht übermäßig groß. Wenn sich Technicolor jedoch als die fundamentale Theorie der Welt erweisen sollte, wird Microsoft Word vielleicht mit der automatischen Rechtschreibkorrektur aufhören und kein großes »T« mehr einfügen, wenn ich darüber schreibe.
Extra-Dimensionen
Weder Supersymmetrie noch Technicolor sind offenkundig perfekte Lösungen des Hierarchieproblems. Supersymmetrische Theorien stimmen nicht ohne weiteres mit experimentell konsistenter Symmetriebrechung überein, und die Ableitung von Technicolor-Theorien, die die richtigen Quark- und Leptonenmassen vorhersagen, ist sogar noch schwieriger. Also haben die Physiker beschlossen, in die weitere Ferne zu blicken, und Ideen erwogen, die, oberflächlich betrachtet, noch spekulativere Alternativen darstellen. Man sollte daran denken, dass selbst wenn eine Idee auf den ersten Blick hässlich oder nicht offensichtlich zu sein scheint, wir erst dann entscheiden können, welche Idee am schönsten –
Weitere Kostenlose Bücher