Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
sondern können auch Wirkungen auf großen Skalen zusammenfassen, deren Konsequenzen ebenfalls zu klein sein könnten, um beobachtet zu werden. Beispielsweise ist das Universum, in dem wir leben, ganz leicht gekrümmt, und zwar so, wie Einstein uns lehrte, als er seine Gravitationstheorie entwickelte. Diese Krümmung gilt für größere Maßstäbe, die sich auf die Großstruktur des Raumes beziehen. Doch können wir gezielt verstehen, warum solche Krümmungseffekte zu klein sind, um sich auf die meisten Beobachtungen und Experimente auszuwirken, die wir lokal in viel kleineren Größenbereichen durchführen. Nur wenn wir die Schwerkraft in unsere Beschreibung von Elementarteilchen einschließen, müssen wir solche Effekte berücksichtigen – die zu gering sind, um sich auf einen Großteil dessen, was ich beschreiben werde, auszuwirken. Auch in diesem Fall sagt uns die geeignete effektive Theorie, wie die Effekte der Gravitationskraft in wenigen unbekannten Parametern zusammengefasst werden sollen, die experimentell bestimmt werden müssen.
Einer der wichtigsten Aspekte einer effektiven Theorie besteht darin, dass sie auch das kategorisiert, was fehlt, während sie zugleich beschreibt, was wir sehen können – sei es in kleinem oder großem Maßstab. Mit jeder effektiven Theorie können wir bestimmen, wie groß der Effekt sein wird, den die unbekannte (oder bekannte) zugrunde liegende Dynamik möglicherweise auf eine bestimmte Messung haben könnte. Selbst vor neuen Entdeckungen in verschiedenen Größenbereichen können wir mathematisch die maximale Stärke des Einflusses bestimmen, den eine beliebige neue Struktur auf die effektive Theorie in demjenigen Größenbereich haben kann, in dem wir arbeiten. Wie wir in Kapitel 12 weiter untersuchen werden, erkennt man die wirklichen Grenzen der effektiven Theorie erst dann, wenn die zugrunde liegende Physik entdeckt ist.
Als geläufiges Beispiel einer effektiven Theorie mag die Thermodynamik dienen, die uns sagt, wie Kühlschränke oder Motoren funktionieren, und lange vor der Atom- oder Quantentheorie entwickelt wurde. Der thermodynamische Zustand eines Systems wird durch seinen Druck, seine Temperatur und sein Volumen charakterisiert. Obwohl wir wissen, dass das System im Grunde aus einem Gas von Atomen und Molekülen besteht – mit einer viel detaillierteren Struktur als durch die genannten drei Größen überhaupt beschreibbar ist –, können wir uns für viele Zwecke auf diese drei Größen konzentrieren, um das unmittelbar beobachtbare Verhalten des Systems zu charakterisieren.
Temperatur, Druck und Volumen sind wirkliche Größen, die gemessen werden können. Die Theorie, die hinter ihren Beziehungen steht, ist voll entwickelt und kann für erfolgreiche Vorhersagen verwendet werden. Die effektive Theorie eines Gases erwähnt die zugrunde liegende Molekularstruktur nicht (siehe Abbildung 4). Das Verhalten dieser zugrunde liegenden Elemente bestimmt zwar Temperatur und Druck, aber Naturwissenschaftler haben diese Größen geschickterweise benutzt, um Berechnungen anzustellen, bevor Atome oder Moleküle überhaupt entdeckt waren.
Abb. 4: Druck und Temperatur lassen sich auf einer grundlegenderen Ebene anhand der physikalischen Eigenschaften einzelner Moleküle verstehen.
Sobald die grundlegende Theorie einmal verstanden ist, können wir Temperatur und Druck mit Eigenschaften der zugrunde liegenden Atome verknüpfen und außerdem verstehen, wann die thermodynamische Beschreibung versagen sollte. Wir können die Thermodynamik jedoch immer noch für eine große Vielfalt von Vorhersagen verwenden. Tatsächlich werden viele Phänomene nur aus der Perspektive der Thermodynamik verständlich, da wir ohne riesige Rechen- und Speicherkapazitäten, die weit über alles Vorhandene hinausgehen, den Verlauf der einzelnen Atome nicht verfolgen können. Die effektive Theorie ist bislang die einzige Möglichkeit, einige bedeutende physikalische Phänomene zu verstehen, die sich auf feste und flüssige kondensierte Materie beziehen.
Dieses Beispiel macht uns auf einen weiteren entscheidenden Aspekt effektiver Theorien aufmerksam. Manchmal verstehen wir »fundamental« als relativen Begriff. Aus der Perspektive der Thermodynamik ist die atomare und molekulare Beschreibung fundamental. Aber aus der Perspektive der Beschreibung innerhalb der Elementarteilchenphysik, die die Quarks und Elektronen innerhalb der Atome genau beschreibt, ist das Atom ein zusammengesetztes –
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