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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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die Mühe zu machen, die Hand vor den Mund zu halten, sodass ich seine rosa Zunge und die schneeweißen Zähne sehen konnte. Sein Hals schwoll an, und die Adern und Sehnen traten hervor wie bei einer anatomischen Darstellung. Er war unglaublich kräftig und etwa doppelt so groß wie ich. Mir blieb nichts weiter übrig als immer weiterzureden. So gelassen wie möglich schob ich die Hände in die Gesäßtaschen meiner Jeans und packte fest an, was ich darin versteckt hatte.
    » Wissen Sie, ich verstehe ja, warum Sie das getan haben.«
    » Tatsächlich?« Skeptisch, mit zusammengekniffenen Augen, schaute er mich an.
    » Ja, klar. Jenny hat Sie echt enttäuscht. Dabei hatte sie alle Chancen.« Voll Bewunderung schaute ich mich um. » Ich meine, sehen Sie sich das doch an. Sie haben ihr alles gegeben, und sie hat sich benommen, als wäre das alles nichts.«
    Tief aus seinem Hals kam ein Geräusch, das wie Zustimmung klang. Wachsam tastete ich mich weiter, während ich versuchte mir vorzustellen, wie er selbst seine Tat rechtfertigte. Mir kam in den Sinn, wie er sich selbst belogen hatte. Diane hatte mir genug Hinweise auf seine Denkweise gegeben. Denen brauchte ich nur zu folgen. Doch es war ein gefährlicher Pfad.
    » Ich kann das schon verstehen«, ackerte ich weiter. » Aber ein Geschworenengericht vielleicht nicht. Sie müssen von hier verschwinden, bevor die Polizei alles mitkriegt. Vielleicht schaffen Sie es ja– Sie könnten untertauchen oder ins Ausland gehen oder was auch immer– wenn Sie jetzt gehen. Ich bin auf Ihrer Seite, Michael. Ich will nicht, dass Sie die Fehler anderer Leute auszubaden haben. Die anderen haben es alle nicht besser verdient, aber Sie gehören nicht ins Gefängnis. Ich bleibe hier und tue noch ein paar Stunden so, als ob alles in Ordnung ist. Das sollte Ihnen genug Zeit verschaffen, um zu verschwinden.« Noch während ich das sagte, stieg Wut in mir auf und verfestigte sich zu einem harten, heißen Stein hinter meinem Brustbein, der mir das Atmen schwer machte.
    Er runzelte die Stirn. » Warum sollten Sie mir helfen wollen?«
    » Sagen wir mal, ich habe in meinem Leben schon viele Ungerechtigkeiten gesehen. Warum sollte ich Ihnen nicht helfen? Sie sind ja nicht wie Danny Keane. Sie hatten einen guten Grund für das, was Sie getan haben. Ich weiß nicht, ob ich an Ihrer Stelle den gleichen Mut gehabt hätte.«
    Für einen Moment fürchtete ich, zu weit gegangen zu sein und seinen Anflug von Vertrauen verspielt zu haben. Aber ich hatte völlig zu Recht vermutet, dass Michael Shepherd felsenfest an seine eigene Unfehlbarkeit glaubte, denn er nickte. » Okay, ich bin bereit. Halten Sie jetzt aber mal einen Moment den Mund. Ich muss nachdenken.«
    Ich dachte auch nach. Ich dachte, dass es ihm vermutlich niemals in den Sinn kommen würde, dass er seine Tochter zu dem gemacht hatte, was sie war. Er hatte sie ihrer Selbstachtung beraubt. Er hatte sie in die Unterwürfigkeit getrieben. Er hatte diesen Hunger nach Liebe und Anerkennung in ihr angelegt, den Danny Keane eiskalt ausgenutzt hatte. Es war Michael Shepherds Schuld, alles war seine Schuld, und diese Erkenntnis war ausgesprochen bitter.
    » Ich könnte Sie fesseln und hier zurücklassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie nicht doch um Hilfe rufen, aber wenn Sie gefesselt sind, können Sie ja nicht viel tun.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    » Ich muss einen Strick auftreiben. Und einen Knebel.« Er wandte sich halb von mir ab, rieb sich den Kopf mit der einen Hand, und in diesem winzigen Augenblick dachte er nicht an mich. Ich stieß mich vom Küchenschrank ab und ging direkt auf ihn zu. Gleichzeitig nahm ich die Schere aus der Hosentasche, die ich mir hinter meinem Rücken geangelt hatte, stieß die Klinge seitlich in seinen Hals und drehte sie mehrmals hin und her, bevor ich sie wieder herauszog. Ich glaube nicht, dass er meine Bewegung wahrgenommen hatte oder wusste, wie ihm geschah, ehe der Strahl von heißem, rotem Blut aus ihm herausbrach und er mit der Hand nach seinem Hals fasste. Es war katastrophal, was ich angerichtet hatte. Das Blut pulste in dicken Schüben aus ihm heraus und tränkte sein Hemd, dessen Farbe von Khaki zu glänzendem Schwarz wechselte. Geistesgegenwärtig war ich auf Abstand gegangen– nicht schnell genug, um dem ersten Strahl vollständig auszuweichen, aber flink genug, damit er keine Zeit mehr hatte, mich zu packen. Aber er versuchte es auch gar nicht. Er war voll und ganz mit sich selbst beschäftigt.

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