Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
ihre eigenen Schlüsselbeinknochen, genau auf die Stelle, wo ich blaue Flecken auf Jennys Haut gesehen hatte. » Er hat sie runtergedrückt, ihren Kopf ganz unter Wasser getaucht. So lange, bis sie sich nicht mehr gewehrt hat. Es hat nicht lange gedauert. Er ist sehr stark. Ich wollte ihn davon abhalten, aber ich konnte nicht. Er hat so viel Kraft.
Und dann hat er sie genommen und in den Wald geschafft. Nicht mal zugedeckt hat er sie. Ich habe ihn angefleht, sie in eine Decke zu packen, aber er hat nicht zugehört. Sie hatte nichts Warmes…«
» Diane, Sie müssen der Polizei sagen, was passiert ist.«
Ihre Augen weiteten sich. » Nein. Er bringt mich um. Glauben Sie mir. Er bringt mich auf der Stelle um.« Sie war pures Entsetzen.
Ich holte mein Handy aus der Tasche und scrollte durch die Telefonnummern. » Lassen Sie mich DCI Vickers anrufen. Er wird das verstehen, wirklich. Er kann Ihnen helfen.«
Meine Hände zitterten, und meine Fingerspitzen waren taub. Diane zuliebe versuchte ich, souverän zu wirken, aber ich war kaum in der Lage, mein Handy zu bedienen. Ein plötzliches Geräusch aus der Küche ließ mein Herz bis zum Hals schlagen.
» Alles in Ordnung?«
Valerie stand in der Tür. Noch nie war ich so froh gewesen, sie zu sehen. Ich sprang aus meinem Sessel, rannte auf sie zu und schob sie zurück in die Küche. Ich wollte sie außer Dianes Hörweite bringen, damit ich ungehindert sprechen konnte. Ich musste ihr unbedingt klarmachen, was Michael Shepherd getan hatte. Sie musste doch wissen, was jetzt zu tun war.
Widerstandslos ging sie zurück, aber sobald wir außerhalb des Zimmers waren, blieb sie wie angewurzelt stehen und rührte sich wie ein Maulesel keinen Zentimeter mehr von der Stelle.
» Was ist denn auf einmal los? Sie waren doch nur für ein paar Minuten allein.«
» Hören Sie mir einfach zu, Valerie. Ich muss Sie informieren…«
» Sie sind doch hoffentlich Diane nicht zu nahe getreten…«
» Jetzt halten Sie endlich den Mund, verdammt noch mal!«
Wütend starrten wir einander an. Eine Sekunde lang gestattete ich mir den Wunsch, jemand anders von der Polizei vor mir zu haben. Ich holte tief Luft. » Tut mir leid, Valerie. Das hier ist ganz, ganz wichtig. Würden Sie bitte einfach zuhören?«
Hastig berichtete ich ihr von Dianes Schilderungen. Dabei verhedderte ich mich in meinen eigenen Sätzen. Meine Gedanken waren schneller, als ich sprechen konnte, und an manchen Stellen musste ich noch einmal zurück zum Ausgangspunkt, um mich ihr verständlich zu machen. Als ihr schließlich dämmerte, was sie da hörte, wurde sie kreidebleich im Gesicht.
» Oh mein Gott! Wir müssen sofort jemanden informieren!«
» Ich wollte gerade DCI Vickers anrufen«, setzte ich an, doch in dem Moment schauten Valeries himmelblaue Porzellanpuppenaugen über meine Schulter hinweg und weiteten sich vor Schreck. Ich spürte, wie mir die Angst kalt den Rücken hinunterlief und drehte mich um. Als ich sah, was Valerie gesehen hatte, entfuhr mir unwillkürlich ein Schrei. In der Tür stand Michael Shepherd und hielt seine Frau im Nacken gepackt. In der anderen Hand hielt er eine gefährlich aussehende, schwarze Armbrust mit einer Spannweite von etwa einem halben Meter direkt auf uns gerichtet. Ein Bolzen war abschussbereit, und einen weiteren hatte er sich an den Gürtel geklemmt.
» Kein Wort mehr, alle beide.«
Instinktiv rückte ich von Valerie ab und vergrößerte so den Zielbereich. Vor lauter Angst waren meine Bewegungen plump und ungeschickt. Ich war zu langsam gewesen. Ich hatte wertvolle Zeit mit Valerie vergeudet. Ich hätte ihr nicht erst alles erklären sollen. Ich hätte fliehen sollen. Ich hatte zu lange gewartet, wie immer. Meine Wut brannte sich wie ein rotglühender Draht durch den weißen Nebel des Entsetzens, und verzweifelt klammerte ich mich daran, denn wenigstens hielt sie mich hellwach und bewahrte mich vor dem Aufgeben. Ich tastete mich weiter rückwärts, bis ich eine Küchenarbeitsplatte im Rücken spürte. Mit der Hand langte ich hinter mich und versuchte mich verzweifelt zu erinnern, ob ich darauf irgendetwas gesehen hatte, das als Waffe taugte. Shepherd stierte auf Valerie, sein Gesicht war dunkelrot vor Zorn.
» Hände hoch«, fauchte er, » los, hoch damit– sofort.«
» Jetzt warten Sie doch mal, Michael«, sagte Valerie und versuchte zu lächeln. » Ich verstehe ja, dass Sie ungehalten sind, aber so kann man mit der Situation doch nicht umgehen. Legen Sie erst mal die
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