Die Verschollenen
Generationen auf der Insel gelandet waren, nachdem
sie in langen, ausgehöhlten Bäumen das Wasser überquert hatten. Diese Fremden hatten eine seltsame Sprache gesprochen. Sie hatten glänzende Stöcke bei sich getragen, die härter und schärfer als Stein waren, sowie Speere, die Rauch und Feuer spuckten. Letztendlich waren die Vorfahren des Stammes zu der Erkenntnis gelangt, dass die Neuankömmlinge eine Bedrohung darstellten, und hatten sie alle abgeschlachtet. Von da an begegnete man sämtlichen Fremden, die auf der Insel landeten, auf diese Weise, bis schließlich keine Fremden mehr kamen.
Die jüngste Generation des Stammes stand nun vor einer ähnlichen Entscheidung.
Nach einer Woche aufmerksamer Beobachtung waren die Ängste und schlimmen Vorahnungen einem leichten Gefühl der Dringlichkeit gewichen. Der Stamm war hin- und hergerissen. Die Fremden waren eindeutig eine Bedrohung für das natürliche System der Insel. Durch ihre Anwesenheit geriet alles aus dem Gleichgewicht. Wenn der Stamm nicht bald handelte, könnte seine gesamte Existenzgrundlage in Gefahr geraten.
Die Zeit des Beobachtens war vorbei. Jetzt wurde es Zeit, zu handeln.
Nachdem sie ein paar Späher zurückgelassen hatten, die die Eindringlinge im Auge behalten sollten, zogen sich die restlichen Stammesmitglieder in die Mitte der Insel zurück. In einem tiefen, versteckten Tal, das sie für wichtige Versammlungen benutzten,
beratschlagten sich die Männchen heulend und grunzend in ihrer gutturalen Sprache. Schließlich stand der Stammesälteste auf und zog zischend die Aufmerksamkeit auf sich. Die anderen verstummten und sahen ihn voller Respekt an. Sein Körper war mit dichtem grauem Haar bewachsen, und lange, tiefe Narben aus alten Schlachten bedeckten seine kräftigen Arme und seine breite Brust. Trotz seines Alters war der Häuptling stark und besaß noch fast alle Zähne. Er war ein beeindruckender Gegner, und die wenigen jüngeren Männchen, die es gewagt hatten, ihn herauszufordern und um die Herrschaft zu kämpfen, waren von ihm zerfetzt worden.
Knurrend gab der Älteste sein Urteil bekannt.
Fleisch war Mangelware. Seit Generationen hatte der Stamm seine Nahrung neben Früchten, Borke und Pflanzen auch durch Vögel, Schildkröten, Schlangen, Insekten, Spinnen, Krebse und alle möglichen anderen Meerestiere ergänzt, die zufällig angespült wurden. Früher hatte es auf der Insel Wildschweine gegeben, zumindest wurde es so erzählt, aber keiner der heute Lebenden hatte jemals eines gesehen oder wusste, wie so etwas schmeckte. Als Beweis gab es nur die Bilder, die von ihren Vorfahren an die Höhlenwände gemalt worden waren. Die Männchen der haarlosen Neuankömmlinge sollten gefangen genommen, getötet und gegessen werden. Vielleicht schmeckten sie ja wie Schwein. Vielleicht auch nicht. So oder so würden sie ihnen
jedenfalls die Bäuche füllen. Der Stamm hatte es sich schon lange angewöhnt, die eigenen Toten zu essen, wenn sie von Krankheit, Verletzungen oder dem Alter dahingerafft wurden. Vielleicht würden die Neuankömmlinge sogar deutlich besser schmecken. Die meisten von ihnen schienen wohlgenährt zu sein. Viele von ihnen trugen saftige Fettschichten am Bauch.
Die Weibchen würden zur Zucht in die Höhlen gebracht werden. Wenn sie keine Kinder gebären konnten oder die Frucht ihres Leibes fehlerhaft sein sollte, würden sie ebenfalls gegessen werden, zusammen mit ihren missgestalteten Kindern.
Der Wind vom Meer ließ die Baumwipfel rascheln und schwanken.
Der Älteste hob den winzigen Kopf und witterte. Die Brise fuhr durch seine Haare. Aus Erfahrung wusste er, dass ein Sturm kommen würde - ein weiterer Beweis dafür, dass die Eindringlinge das natürliche Gleichgewicht gestört hatten.
Heute Nacht würden sie handeln, im Schutz der Dunkelheit und des Wetters. Sie würden schnell und gnadenlos zuschlagen. Und dann würden sie schlemmen.
Auf dieser Insel hatte die Nacht Reißzähne.
DREI
D ie Kandidaten machten sich, verfolgt von Kameramännern und Tontechnikern, auf den Rückweg zum Camp. Als sie eine Stelle am Strand erreichten, an der ein schmaler Trampelpfad in den Dschungel führte, bogen sie auf den Weg ein. Der Pfad war gerade mal so breit, dass drei Leute nebeneinander gehen konnten, und Becka bemerkte, dass jeder bei seiner jeweiligen Clique blieb. Ein Mitglied der Crew setzte sich an die Spitze, ging rückwärts und filmte die Prozession. Es überraschte Becka, dass er nicht stolperte.
Sal und Richard
Weitere Kostenlose Bücher