Die Verschwoerung von Toledo
die an einen Gedenkgottesdienst gemahnte. Alle waren zu Tode erschöpft. Und die Frauen setzten ihre Alchezelis wieder auf.
Die Gäste hatten, ohne es recht zu merken, mitgemacht. Sie hatten zusammen mit den braun gebrannten Männern und weißhäutigen Frauen gekämpft. Dafür kam jetzt jeder zu ihnen, schlug ihnen auf die Schultern, lachte, plapperte, deutete zum Himmel. Auch Henri ertappte sich dabei, zu lachen und übermütig zu reden, was nicht seiner Art entsprach.
Alles löste sich in Wohlgefallen auf, und als die durch den Sieg über die drohende Gefahr gesättigte Menge in die Stadt zurückschlurfte, bemerkte Henri, wie zur Linken, in einer Senke, die eine kleine Kolonie von Büschen beherbergte, zwei der Matrosen mit jungen, halb nackten Frauen wie zu einem Körper verschmolzen waren.
Seine erste empörte Regung war, einzugreifen. Das Keuschheitsgelübde, das er dem Tempel gegeben hatte, beherrschte noch immer sein Empfinden. Dann besann er sich. Die Matrosen waren in ihrem Handeln frei, sie brachen nicht sein Keuschheitsgelübde. Henri schickte ein Stoßgebet zum Himmel und hielt nach den anderen Ausschau.
Sie fanden sich alle wieder ein. Und Henri wurde deshalb von dem aufkeimenden Gedanken abgehalten, ob die Ankunft der Heuschrecken vielleicht verhindert hatte, dass ihr maurischer Gastgeber gegenüber seinen christlichen Gästen nicht doch auf dumme Gedanken gekommen war. Jetzt aber erschien es ihm müßig, darüber nachzudenken.
Henri de Roslin beschloss, sofort aufzubrechen. Auf die verschwundenen Matrosen zu warten schien sinnlos. Er würde es wagen und sich allein auf den Weg in das imperiale Toledo machen.
Er hatte schon größere Gefahren gemeistert als die in dieser seltsamen maurischen Stadt am Fluss, in der die Natur alles bedrohte. Und den noch vor ihm liegenden Gefahren auf der weiteren Reise durch das Land Iberien würde er mutig ins Auge sehen.
2
Anfang Juli 1315, Fest des kostbaren Blutes
Kurz vor Aranjuez geschah es. Henri hatte einen Umweg nehmen müssen. In einem kastilischen Dorf, das Villamanrique hieß und an dem Fluss Tajo lag, war er in einer kleinen Kapelle auf die Knie gesunken, um zu beten.
Es waren die Tage zu Fronleichnam. Da Henri de Roslin nirgendwo das Hochfest des Leibes und des kostbaren Blutes Christi mitfeiern konnte, hielt er an diesem Nachmittag seine eigene kleine Festfeier zu Ehren des Schmerzes und des vergossenen Blutes Jesu am Kreuze ab.
Er hatte auf seinem Weg Schiffsprozessionen auf allen Seen und Flüssen und zuletzt auf dem Tajo gesehen. Die Sakramente wurden, wie er wusste, von den Geistlichen auf einem Boot mitgeführt, von dem aus die Segnungen vorgenommen wurden. Henri sah oft vom Ufer aus sehnsüchtig hinüber, er hätte in dieser dunklen und gnadenlosen Zeit geistlichen Zuspruch und Trost gebraucht. Aber die Schiffe fuhren an ihm vorbei.
Henri musste weiter. Toledo wartete auf ihn, die Zeit drängte.
Als Aranjuez in Sicht kam, passierte Henri eine kleine Holzbrücke über den Fluss. Fischerhütten säumten das südliche Ufer, überall waren die Reusen zum Trocknen aufgespannt. Reiher flatterten auf, ihre Schwärme verdunkelten für einen Moment den Sommerhimmel.
Henri spürte seine Müdigkeit. Obwohl das Tal von Aranjuez grün und schattig war, flimmerte überall die Hitze. Henri hatte schon einige Zeit lang hinter sich eine Bewegung gespürt, Reiter, Hunde, sich verbergende Gestalten, aber er hatte nicht darauf geachtet.
Er ruhte sich jenseits der Brücke für einen Moment aus.
Überall floss hier kühles, reinigendes Wasser. Es strömte und schäumte in hundertfacher Gestalt dem kleinen Fischerort zu, in dem es, wie Henri wusste, ein Ritterkloster des Santiago-Ordens gab. Henri kannte die prächtige Residenz aus Kloster, Konvent und Kirche inmitten duftender Gärten von einem früheren Besuch. Darin hatten die Großmeister des Ordens schon mehrere kastilische Konvente, die Cortes, abgehalten. Die mächtigen Rittermönche, zu denen die Templer immer ein gespanntes Verhältnis besessen hatten, stammten aus Galizien und hatten es sich zur Aufgabe gesetzt, für das Andenken des heiligen Apostels Jacobus zu streiten. Henri wusste, dass sie zusammen mit den Fischern am Schilfufer des Tajo und Jamara die ersten Bewohner des Örtchens gewesen waren.
Sollte er dort verweilen? Aranjuez, das nur aus wenigen Häusern bestand, schien wie geschaffen für eine Pause. Hier sah er einen kleinen Wasserfall am Ende des Rias, der eine
Weitere Kostenlose Bücher