009 - Das Geheimnis der Statue
Er wartete.
In unendlicher Monotonie reihten sich Monate und Jahre aneinander, so dass er längst schon nicht mehr wusste, wie lange er schon wartete, verurteilt zu völliger Bewegungslosigkeit, von der Welt vergessen und unfähig zu sterben.
Wie oft schon hatte er den Tag verflucht, an dem er sich freiwillig in diesem perfektesten aller denkbaren Gefängnisse hatte einschließen lassen? Er wusste es nicht. Er war gefangen in einem Universum voller Schmerz und Pein, dem eigenen privaten Gefängnis seines Geistes, in dem es nichts gab als die unendlich langsam verstreichende Zeit und die vage Hoffnung, dass ihn eines Tages jemand befreien würde.
Er konnte nur warten und diesen Tag herbei flehen.
Die Augen waren die einzigen Organe seines Körpers, die noch arbeiteten, aber auch das konnte Trug sein. Er wusste nicht genug über die Beschaffenheit seines Gefängnisses, um zu wissen, ob es wirklich seine Augen waren, die ihm die Bilder der Außenwelt übermittelten, oder ob die Bilder ohne diesen Umweg direkt in seinen Geist projiziert wurden. Jedenfalls konnte er sehen, was um ihn herum vorging und das war das Einzige, das zählte, auch wenn es ihm manchmal wie eine zusätzliche Folter und Ironie des Schicksals vorkam, die Wesen zu sehen, die gelegentlich in seine Nähe kamen, um ihn anzubeten, ohne die Möglichkeit zu besitzen, sich ihnen verständlich zu machen.
Die Bulowas ahnten nichts von seiner Pein. Für sie war er die Statue eines Gottes, der einst von ihnen gegangen war.
Er war müde und wünschte kaum etwas sehnlicher, als nach dieser unvorstellbar langen Zeit schlafen zu können und sei es nur, um seine Lage wenigstens für eine Weile vergessen zu können.
Aber sein Körper war wie eine Maschine abgeschaltet worden. Er brauchte keinen Schlaf und dadurch wurde auch sein Geist zu ewigem Wachen verurteilt.
Er wartete.
Irgendwann würden Menschen diesen Planeten betreten. Er wusste es, denn er kannte einen Teil der Zukunft. Sie würden ihn befreien. So war es ihm versprochen worden. Ihm blieb nichts als die Hoffnung, dass diese Prophezeiung eines Tages eintreten würde, denn dieser Teil der Zukunft lag auch für ihn im Ungewissen.
Aber die Menschen würden kommen. Er wusste es, denn er war selber einer. Zumindest war er einst ein Mensch gewesen, bevor man ihm das angetan hatte.
Nur mühsam erinnerte er sich noch an seinen Namen.
Er hieß William Nolan.
*
»Zum Teufel damit«, fluchte Ken Randall und warf seine letzte Karte auf den Tisch. Gegen den vierten König, den Mario Servantes gerade aufgedeckt hatte, kam er mit seiner Sieben nicht an. Zufrieden vermerkte der Wissenschaftler seinen Gewinn. Er würde die Umbuchung auf sein Konto vornehmen, sobald sie wieder auf der Erde waren.
Sofern sie überhaupt wieder zur Erde gelangen würden, schränkte er gleich darauf ein. Zumindest für den Augenblick war das unmöglich.
»Was ist los mit dir?«, erkundigte sich Servantes. »Scheint heute nicht dein Tag zu sein. Oder liegt dir Pokern nicht?«
»In der Tat: Scheint wirklich nicht mein Tag zu sein«, seufzte Randall und strich sich mit der Hand durch die dunkelblonden Haare. Die Karten schienen sich gegen ihn verschworen zu haben. Jeder Bluff geriet ihm zu durchsichtig und wenn er eine neue Karte zog, war es garantiert die Falschest mögliche. Er war zu nervös, um sich auf das Spiel konzentrieren zu können und tat jetzt endlich, was er schon vor Stunden hätte tun sollen, um sich einen Haufen Schulden zu ersparen: Er stand auf. »Ich steige aus«, verkündete er.
»Ist wohl besser«, stimmte Servantes zu. »Das Spiel macht ja keinen Spaß, wenn man statt eines Gegners nur ein Opfer vor sich hat.«
»Dann such dir mal einen Gegner«, sagte Ken. Er wandte sich vom Tisch ab und ließ seinen Blick durch den Aufenthaltsraum schweifen. Die meisten Tische waren besetzt. Lachen und Scherzen klang zu ihm herüber, aber der Survival-Spezialist spürte auch die unterschwellige Unruhe, die von den zahlreichen Menschen Besitz ergriffen hatte. Es war eine Stimmung, die überall in der kleinen Siedlung herrschte, eine Mischung aus Langeweile und unterdrückter Nervosität. Ken Randall konnte es gut verstehen, denn auch ihm erging es nicht anders.
Im Grunde genommen waren sie alle gefangen, darüber konnte nicht einmal der Komfort des Gefängnisses, das die Größe eines ganzen Planeten besaß, hinwegtäuschen. Sie waren mehr als dreitausend Menschen, die meisten davon Soldaten, die auf Phönix von
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