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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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aber ein, dass er Recht hatte. Er musste sich fügen, denn er sah ein, dass sie jetzt keine Zeit verlieren durften.
    Als er sich noch einmal im Sattel umwandte, erblickte er Vogelscharen, die über dem Dorf kreisten und sich dann herabstürzten. Sie fressen kein Heu, dachte er mit Grauen. Und schnell ritt er den Gefährten hinterher.
     
     
    Am Fluss Segre angekommen, kurz bevor er sich zu einem ausladenden See verdickte, rasteten die Männer. Jetzt hatte Henri vor Augen, wovon er die ganze letzte Zeit geträumt hatte.
    Der Fluss schäumte und floss schnell dahin, er bildete Katarakte und stürzte an einer Stelle mindestens fünf Meter in die Tiefe. Am Fuß des Wasserfalls rissen Strudel die Wasser mitsamt herumschwimmenden Baumstämmen, Moosfladen und Sandinseln umso schneller dahin.
    Hier werde ich es versuchen, dachte Henri. Noch in dieser Nacht werde ich ein freier Mann sein. Und wenn ich die Fesseln durchbeißen muss!
    Vielleicht, dachte er weiter, kann ich mich auch gefesselt in den Fluss werfen. Denn schwimmen kann ich bei der Strömung ohnehin nicht, und die Wasser tragen mich so schnell fort, dass ich nicht untergehen kann. Die Fesseln?
    Ich werde sie später abstreifen, wenn ich irgendwo auf die Felsen geworfen worden bin. Dort wird es irgendwo einen spitzen Stein geben.
    Wenn ich dann noch am Leben bin, dachte Henri.
    Ich muss es einfach riskieren.
    Die Nacht kam. Der Mond war aufgegangen, er hatte fast runde Gestalt. Die Wachen wurden wieder einmal eingeteilt. Man kontrollierte den Sitz von Henris Fesseln. Sie schnitten wie jeden Tag in das Fleisch seiner Handgelenke.
    Die Männer hatten sich rund um das Feuer zur Ruhe gelegt und schnarchten bald um die Wette. Aus dem umgebenden Wald, der gleich am Ufer des Segre begann, ertönten die üblichen Geräusche der Nachttiere. Ein Schmatzen, ein Grunzen, ein tiefer knurrender Laut, schleifende Geräusche.
    Plötzlich nahm Henri etwas wahr, das er zuerst nicht verstand. Ja, er wusste nicht einmal, ob er es wirklich sah. Jedenfalls gehörte es nicht hierher.
    Träumte er?
    Es glich der Spitze eines vergoldeten Kirchturms, die zu kreisen begonnen hatte. Etwas stieg aus dem Walddunkel empor und blinkte wie Gold im Mondlicht. Es schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Es stand nicht still. Es bewegte sich ständig.
    Jetzt begriff er.

 
    7
     
     
     
    Im Jahr des Herrn 1312, Heiliges Land
     
    Kaum hatte Henri Uthman nach ihrer Überquerung des Meeres in Cordoba verlassen, da traf er auf Flüchtlinge aus Frankreich, die ihm erzählten, dass die Verfolgung der Tempelritter nach wie vor wie eine Seuche im Land wütete. »Besonders den Schatzmeister suchen sie«, erzählten die Männer, »auf seinen Kopf ist viel Geld ausgesetzt.«
    Henri war müde, und die Welt schien ihm grau und leer. Warum nach Frankreich hasten, wo ihn Folter und Tod erwarteten? Wo er vermutlich nichts für seine gefangenen Tempelbrüder tun konnte? In seiner erschöpften Weltverdrossenheit erinnerte sich Henri an eine Legende, die ihm in seiner Ausweglosigkeit wie ein strahlendes Licht erschien: Wäre es nicht schön, nach all den Gemetzeln im Heiligen Land, der Verfolgung, dem Hass, dem nicht endenden Schmerz in ein friedliches Reich abzutauchen? Henri hatte von dem legendären Priesterkönig Johannes gehört, der in Äthiopien ein riesiges Reich regierte. Niemand hatte ihn jemals zu Gesicht bekommen. Umso geheimnisumwobener war dieser Herrscher – ein mächtiger Christ inmitten vom sarazenischen und heidnischen Königreichen. Dort wollte er hin, dort wollte er Frieden finden, eine Ruhe, die nicht die Ruhe des Schlafes oder die des Todes war, sondern die der Stille der Zufriedenheit.
    Es brauchte nicht lange, da hatte er nach Cordoba zurückgefunden und mit Uthman gesprochen. Uthman war begeistert, denn in Äthiopien hatten die ersten Anhänger des Propheten, die vor der Verfolgung in Mekka flüchten mussten, bei dem christlichen Kaiser Aufnahme und Schutz gefunden. Dieses Land hatte er schon immer sehen wollen.
    »Die nun geglaubt haben und ausgewandert sind und gestritten haben für Allahs Sache, und jene, die ihnen Herberge und Hilfe gaben – diese sind in der Tat wahre Gläubige. Ihnen wird Vergebung und eine ehrenvolle Versorgung sein!«
    Henri lauschte aufmerksam den Worten des Gelehrten, der den vierundsiebzigsten Vers, oder, wie die Sarazenen sagten, das vierundsiebzigste Zeichen, der Sure von der Verderblichkeit des Krieges, der Sure Al-Anfal, aus dem Koran mit lauter und

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