Die Verschwoerung von Toledo
Kettenhemd. Handelte es sich um verzweifelte aufständische Bauern?
Henri sprang hinüber, wo er Ferrands Pferd vermutete. In den Resten des Lagerfeuers war das nicht deutlich auszumachen. Überall hetzten Schatten umher, Waffen klirrten.
Als in diesem Moment der Halbmond hinter einer Wolke auftauchte, sah Henri, wie Ferrand mit einem Angreifer rang. Er stürzte hinzu. Es war ihm zuwider, Ferrand zu retten. Aber noch widerlicher fand er es, einen Angreifer aus dem Hinterhalt zu schonen. Es widersprach seiner Vorstellung von Ehre und Moral.
Henri riss den Angreifer von Ferrand herunter und durchbohrte ihn. Ferrand blickte ungläubig zu ihm auf. In seinen Augen, obwohl Henri ihm soeben das Leben gerettet hatte, lag blanker Hass. Henri bot ihm die Hand, damit er aufstehen konnte. Für einen kurzen Moment standen sich die beiden Männer dicht gegenüber. Henri spürte die Körperwärme seines Feindes, spürte seinen Atem. Dann wandte er sich schweigend ab.
Er begriff schnell, dass dies ein Fehler war.
Ferrand kannte keine Ehre und Moral.
Henri spürte, wie ein Schwertknauf gegen seinen Hinterkopf schlug. Ein dumpfer Schlag. Dann stoben Funken durch sein Blickfeld. Einige Augenblicke später überwältigten ihn mehrere Männer und fesselten ihn erneut. Diesmal mit doppelten Fesseln.
»Ich werde dich leben lassen, weil du mir geholfen hast«, schnaubte Ferrand. »Aber versuche nie wieder zu fliehen! Dann töte ich dich!«
»Du weißt, dass ich immer wieder versuchen werde, zu fliehen, Ferrand!«, sagte Henri mit ruhiger Stimme. »Denn der einzige Mann hier in der Runde, der nur in Freiheit existieren kann, das bin ich.«
Der Kampf war zu Ende. Ferrands Schar beklagte sieben Tote. Von den Feinden lag ein gutes Dutzend am Boden. Es schienen tatsächlich Bauern zu sein, die sich auf einem Hungerraubzug befanden und sich an den Durchreisenden bereichern wollten. Vielleicht hätte es genügt, wenn sie um Brot gebeten hätten, dachte Henri, dann lebten die Erschlagenen noch.
Die Männer brachen das Lager sofort ab. Man begrub weder die eigenen noch die fremden Toten und ritt weiter.
Henri schlug ein Kreuz und sprach ein kurzes Gebet, als sie den Ort des Schreckens verließen. Henri wusste, dass die Raubvögel und die wilden Tiere dieser unwirtlichen Gegend schon zu Mittag von den Hingestreckten nicht mehr viel übrig lassen würden. Und er wusste auch, dass die Seelen der Toten kaum in den Himmel aufgenommen werden würden. Aber er betete dennoch für sie. Es waren Menschen. Er erinnerte sich, dass soeben der Monat September begonnen hatte, in dem die Christen die Feste zum Gedächtnis der Schmerzen Marias feierten. Wie schön wäre es gewesen, eines davon mitzufeiern und für die Verstorbenen zu bitten, denn die Gottesmutter war die Schutzpatronin des Tempelordens gewesen. Henri dachte: Nur Gott allein weiß, aus welchen Gründen sie den Pfad des Hasses und der Gemeinheit beschritten hatten.
Henri brach seinen Gedankengang ab. Es war nicht seine Aufgabe, darüber zu richten.
Joshua, Uthman und ihre beiden jungen Begleiter erreichten die Stadt Balaguer am nächsten Tag. Sie waren den Spuren gefolgt und hatten auch die Kampfspuren am Lagerplatz zu lesen gewusst. Da sie unter den Toten Henri nicht sahen, schöpften sie neue Hoffnung. Joshua schlug vor, die Toten miteinander in einem Massengrab zu beerdigen. Aber Uthman lehnte ab.
»Henri ist mir wichtiger als ein Begräbnis dieser Ungläubigen«, sagte er. Er bemühte sich, seiner Stimme einen harten Klang zu geben. Aber Joshua wusste, dass Uthman zwar ein wilder Krieger sein konnte, aber ein weiches, verständnisvolles Herz besaß. Allein die Sorge um Henri ließ ihn so hartherzig reden.
Sie saßen wieder auf. Die Pferde trabten an, und bald waren sie wieder auf der Spur des Gefangenentransportes. Uthman wusste zu deuten, dass die Spuren immer frischer wurden, man kam den Verfolgten also immer näher.
»Noch heute werden wir sie einholen! Wenn sie in Sichtweite sind, ruhen wir ein wenig aus und überlegen den Schlachtplan. Wir greifen in der günstigsten Stunde an.«
Als sie weiterritten, sahen sie in der Ferne ein Dorf, in dem es brannte. Joshua erinnerte sich, dass es in dieser Gegend einige jüdische Gemeinden gab. Brannten hier im Norden Iberiens erneut die Synagogen? Oder hatte sich bei der Hitze nur das Heu der Felder in den Scheuern entzündet?
Uthman ibn Umar lehnte es ab, nach den Gründen zu schauen. Joshua wollte dem Freund widersprechen, sah
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