Die Verschwoerung von Toledo
ihre ständig gemurmelten Worte: »Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind und meinen teuren Sohn haben wollen!«
Die Mutter war am ersten Abend umgekehrt, der alte Templer hatte an die Pforte geklopft – fünf Tage lang. Dann erst hatte man ihnen geöffnet. Er hatte seine Bitte um Henris Aufnahme in den Orden vorgetragen, und der blutjunge Henri hatte die Bitte ergänzen müssen mit den Worten: »Nimm mich auf, Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben, lass mich in meiner Hoffnung nicht scheitern.«
Danach hatte man den Novizen in den Gemeinschaftssaal geführt, wo alle Anwesenden diese Worte dreimal wiederholten und ein »Ehre sei dem Vater« hinzugefügt hatten. Dann musste sich Henri jedem Bruder zu Füßen werfen, damit sie alle für ihn beteten. Der Komtur hatte eine Urkunde aus Pergament um seine Hand gewickelt und diese in das Altartuch gelegt. Henri hatte erneut Formeln nachsprechen müssen, und dies auch mit Freude und Bangen getan.
Aber die Sehnsucht nach seinem Zuhause zerriss ihn beinahe.
Er hatte kein Eigentum besessen. Dadurch wurde vorgebeugt, dass der Knabe keine Aussicht besaß, die ihn betören und verderben könne. Und er hatte gewusst, dass er von diesem Tag an nicht einmal mehr das Verfügungsrecht über den eigenen Leib besaß. Seltsamerweise hatte ihn dieser Gedanke nicht erschreckt, sondern tief beruhigt.
Noch im Oratorium hatte man ihm die eigenen Sachen ausgezogen und in die Kutte gesteckt. Seine Kleider wurden in die Kleiderkammer gebracht und aufbewahrt, denn sollte er einmal der Einflüsterung des Teufels nachgeben und den Tempel verlassen, dann musste er die Kutte ausziehen und der Ordensburg in seinen eigenen Sachen den Rücken kehren.
Henri war trotz des Heimwehs und seiner Gedanken an das einzige Mädchen, das er je besessen hatte, freiwillig geblieben. Er hatte Keuschheit, Gehorsam und Opferbereitschaft gelernt.
Was bedeuteten ihm also jetzt die Schikanen seiner Bewacher! Es war nicht mehr als Staub am Huf der Reittiere!
Henri rollte sich unter dem Karren zusammen und versuchte zu schlafen.
Mitten in der Nacht wurden sie angegriffen.
Henri erwachte aus einem unruhigen Dämmern durch das Klirren von Schwertern. Er hörte laute Rufe und wusste sofort, was er davon zu halten hatte.
Mehrere Gestalten hatten sich aus dem Dunkel der Nacht gelöst und waren über die Lagernden hergefallen. Henri wusste nicht, wer die Angreifer waren – ein Trupp seiner Gefährten gewiss nicht, denn die hätten ihm sicher Zeichen gegeben. Und als einer auf ihn zustürzte und ihm eine Pike in den Leib rammen wollte, konnte er sich nur mit Mühe und Not retten. Er rollte sich unter den Karren. Als der Angreifer ihm folgte, sprang auf der anderen Seite einer von Ferrands Männern heran und ließ sein Schwert krachend auf den ungeschützten Kopf des Angreifers niedersausen.
Blut spritzte auf Henri, der sich bemühte, auf die Beine zu kommen. Überall sah er kämpfende Gestalten.
Die Angreifer ließen sich nicht abschütteln. Henri de Roslin bemerkte, wie ein Kämpfer nach dem anderen aus Ferrands Reihen zu Boden sank. Das waren kampferprobte Recken, also mussten die Angreifer ihr Handwerk verstehen. Außerdem waren sie zahlenmäßig überlegen.
Henri fühlte sich wehrlos und wünschte sich eine Waffe. Er versuchte, seine Fesseln an der Pike des soeben Getöteten aufzuschneiden. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihm auch.
Er rieb sich die schmerzenden Handgelenke, an denen er schon die Narben der Haft von Fontainebleau besaß, und sprang auf die Beine. Seine Arme waren wie abgestorben. Er versuchte, das Blut in den Gliedern durch heftige Bewegungen zirkulieren zu lassen. Dann nahm er die Pike des Getöteten auf und stürzte vorwärts.
Die heikle Lage, in der er sich befand, war ihm bewusst. Er hätte fliehen können. Aber einer feindlichen Mordbande, die vielleicht die ihm unbekannte umliegende Gegend terrorisierte, war er allein noch stärker ausgeliefert. Also beschloss er, sich am Kampf zu beteiligen. Sollte die Gelegenheit ihm günstig erscheinen, vielleicht beide Seiten ausreichend geschwächt sein, musste er sich entscheiden.
Henri durchbohrte einen der unbekannten Angreifer mit der Pike. Der Mann drehte sich ungläubig halb zu ihm um. Als Henri die Waffe mit einem kräftigen Ruck aus dessen Rücken zog, fiel der Mann zu Boden, als besäße er kein Knochengerüst mehr. Henri bemerkte, dass der Getötete zerlumpte Kleidung trug, er sah kein Wappen, keine Schärpe, kein
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