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Die verschwundene Lady (German Edition)

Die verschwundene Lady (German Edition)

Titel: Die verschwundene Lady (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Earl Warren
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mit einer wahren Megäre von Frau verheiratet, einem Ungeheuer, das ihn viele Jahre lang ausnutzte, aufs gemeinste betrog und immer wieder demütigte...«
    »Ach«, unterbrach Anne. »Und das hat er jetzt plötzlich gemerkt, oder wie soll ich das verstehen?«
    »Deine Ironie ist unangebracht. Henry ist ein feinfühliger, gutherziger Mensch. Eine stattliche Erscheinung, musisch interessiert, weiblichen Dingen aufgeschlossen, im Gegensatz zu den meisten Männern. Er liebte diese nichtswürdige Person blindlings und duldete all die Jahre, weil er immer hoffte, sie würde sich ändern. Doch das ist nicht geschehen. Da raffte sich Henry endlich auf, die Scheidung zu beantragen. Doch wie du weißt, dauert das seine Zeit. Henry kann sich bis dahin keine Affären erlauben, nicht einmal harmlosester Natur. Die Anwälte seiner Frau würden ihm sofort einen Strick daraus drehen. Dann würde er bei der Scheidung ganz schlecht aussehen.«
    »Hm, hm.« Anne war halb überzeugt. Das hörte sich logisch an. »Haben sie Kinder, Henry und seine Nochehegattin?«
    »Nein. Sie wollte keine. Deshalb verhinderte sie immer eine Schwangerschaft. Und Henry redete sie ein, dass sie tieftraurig wäre, keine Kinder bekommen zu können. Sie sagte ihm sogar noch, es läge vermutlich an ihm, denn bei ihr sei alles in Ordnung. Dahinter ist er auch erst später gekommen.«
    »Wie alt ist Sir Henry denn?«
    »Du fragst so viel. Für mich im richtigen Alter.«
    »Du willst mir also nicht mehr mitteilen, Mutter?«
    »Ich denke, ich habe dir schon genug gesagt, Anne.« Mrs. Carmichael s chaute auf die Uhr. »Gott, schon so s pät! Henry will mich heute für die Oper abholen. Und ich bin noch überhaupt nicht fertig. Wie sehe ich denn bloß aus? Du musst mich entschuldigen, Kind. Entschuldigung, Anne. Wir plaudern ein andermal weiter. Jetzt muss ich mich noch schnell frisieren, schminken und umziehen. Ich kann Henry doch nicht warten lassen.«
    Anne verabschiedete sich. Sie sagte Ihrer Mutter, es würde ihr nichts ausmachen, gehen zu müssen. Dass ihre Mutter sie dem geheimnisumwobenen Lord Henry nicht vorstellen wollte, war offensichtlich. Anne nahm ihren Mantel. Ihre Mutter saß schon vorm Frisierspiegel und klebte die falschen Wimpern an.
    Anne küsste ihre Mutter auf die Wange.
    »Viel Spaß in der Oper. Was wird d e nn gegeben?«
    » Turandot. Das ist Henrys Lieblingsoper. Er ist so ein geschmackvoller Mensch.«
    Anne verließ die Wohnung und fuhr mit dem Lift ins Erdgeschoß hinunter. Das Patrizierhaus in der Park Road strahlte schon äußerlich und innerlich eine Gediegenheit aus, wie man sie in London außerhalb des Buckingham-Palastes nur noch selten fand. Im parkettbelegten Foyer gab es einen livrierten Pförtner, der darüber wachte, dass sich hier kein Unbefugter hereinschmuggelte oder gar Hausierer die vornehmen Bewohner belästigten.
    Annes verstorbener Vater hatte seiner Witwe ein beträchtliches Vermögen hinterlassen, von dem auch Anne profitierte. Doch erst an ihrem 25. Geburtstag würde ihr mehr und zur freien Verfügung zufallen. Vorher lag die Verfügungsgewalt bei ihrer Mutter. Annes Vater war der Ansicht gewesen, unter 25 Jahren sei ein Mensch in Finanzfragen allzu labil und ein Säugling.
    Der Portier öffnete Anne die schwere Eichenholztür und fragte, ob er ihr ein Taxi herbeirufen sollte.
    »Nein, Donald, danke. Sagen Sie, meine Mutter wird in der letzten Zeit verschiedentlich abgeholt. Kennen Sie den Gentleman?«
    Anne ließ vielversprechend eine Pfundnote rascheln. Der weißhaarige Donald seufzte.
    »Leider nicht, Miss Anne. Das sage ich ehrlich, nicht nur als Ausflucht. Noch niemand im Hause hat den Gentleman gesehen. Ihre Frau Mutter pflegt das Haus allein zu verlassen und in Richtung. Regent’s Park davonzugehen. Ich vermute, dass . sie den ehrenwerten Gentleman dort trifft. Weit kann sie nicht gehen, da ich sie schon in Stöckelschuhen habe davongehen sehen und selbst bei kritischem Wetter ohne Schirm.«
    Das war immerhin etwas.
    »Danke, Donald.«
    Anne gab dem Alten die Pfundnote trotzdem. Er hatte eine kranke Frau zu Hause und sieben Enkelkinder, die immer was brauchten. Anne schlug den Mantelkragen hoch, rückte die Ozelotmütze zurecht und ging durch den dichter werdenden Nebel in Richtung Regent ’ s Park. Es hatte ihr doch einen Stich versetzt, dass ihre Mutter sie so auf die Seite schob. Henry hier, Henry da, hieß es. In jedem zweiten Satz war Sir Henry erwähnt worden. Anne zählte für ihre Mutter anscheinend

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