ePub: Drachenhaut (German Edition)
P ROLOG
So erzählt die Sage: Die Peri Banu, Fürstin der Feen, Herrscherin über das Volk der Djinns, lag im Wettstreit mit Dem Naga, dem listigen Gott der Schlangen. Der Naga war bekannt für seine boshafte und lügnerische Natur, er war ein Ränkeschmied, Spötter und Widersprecher, ein Leugner und Verlacher, ein Widerborst und Gegenbold. Jeden gewöhnlichen und gemeinen Geist hätte die Peri Banu mit einer Bewegung ihrer weißen Hand ins Reich des Ewigen Nichts geschickt, aber Der Naga war ihr an Kraft und Zaubermacht ebenbürtig. Wo sie die Herrin des Windes und der Lüfte, des Wassers und der sanften Hügel war, da war Der Naga als Schlangengott und Drachenkönig auch der Herrscher über Feuer und Stein, Glut und Tiefe.
Die beiden bekämpften sich bis aufs Blut, aber sie waren durch das Gesetz der Welt aneinander gebunden und konnten die Gegenwart des anderen nicht meiden, selbst wenn sie es gewollt hätten.
Also stritten sie.
»Hohe Fee«, richtete eines Tages Der Naga das Wort an die Peri Banu, »Herrin über Luft und Wasser und alle Geister, die darin leben, ich fordere dich zu einem kleinen Wettstreit heraus.«
Die Peri Banu hob den Kopf aus der Schale ihrer stützenden Hände und schenkte Dem Naga einen Blick, der abgrundtiefe Verach t ung bezeugte. »Elender«, erwiderte sie, »warum störst du meine Gedanken mit solchen Nichtigkeiten? Hebe deine verworfene Gestalt von hinnen, dass dein Anblick nicht weiter meine Augen beleidige!«
Der Naga lächelte ‒ sein Lächeln ließ die Luft erzittern und die Sonne vor Schreck erbleichen ‒ und leckte sich mit gespaltener Zunge über den lippenlosen Mund. »Edelste Fürstin, hochmütigste aller Peris, deren Anblick den Glanz der Perlen und Edelsteine überstrahlt, mit denen dein Gewand so überreich bestickt ist ‒ du kneifst?«
Die Augen der Peri Banu blitzten wie schwarzes Feuer und sie richtete sich hoch auf. Ihr Haar, so dunkel wie die Nacht und so glänzend wie das Licht der Sterne, fiel als mächtiger, züngelnder Strom herab zu ihren Fersen, und die Bogen ihrer Brauen schossen Pfeile auf den bösen Spötter, der sich vor ihr auf dem Ruhebett räkelte. »Giftzunge«, rief die Fürstin der Feen, »stinkendes Natterngezücht! Du wagst es, mich der Feigheit zu bezichtigen? Warte, ich werde dich lehren!« Sie hob gebieterisch die Hand und ihre Sklavinnen fielen rund um sie vor Schreck ohnmächtig zu Boden.
»Fein«, erwiderte Der Naga gelassen und leerte seinen Kelch mit rotem Zypernwein. »Dann lass uns den Preis setzen. Ich habe ein Auge auf dieses hübsche Gespann von geflügelten Widdern geworfen, mit dem du zu reisen pflegst.«
»Niemals«, sagte die Peri Banu, die sich gefasst hatte und wieder in die Polster ihres Ruhebettes zurücksank. »Du hast schon einmal versucht, es mir abzutrotzen. Dieses Gespann gönne ich dir nicht, unguter Geselle.«
Der Naga störte sich nicht an ihren Worten. Er zupfte nachdenklich Beeren von einer Traube und warf sie sich in den Mund. »Alsdann«, murmelte er, »das Gespann ist zwar hübsch, vor allem die vergoldete K utsche hat es mir angetan, aber ich besitze ähnlich ansehnliche Gefährte. Meinetwegen spielen wir um diesen hässlichen alten Teppich, der aufgerollt dort hinter deinem Thron steht. Ein übler Staubfänger. Du müsstest mir dankbar sein, wenn ich dich von ihm befreie.«
Die Peri Banu wurde blass. Es war die Regel, dass der Geforderte zwei der Wettangebote ablehnen durfte, doch das dritte musste akzeptiert werden, was auch immer es war. Sie rang um Fassung.
»Niemals werde ich dir diese rare Kostbarkeit übereignen. Du ... du ...«, der Feenfürstin fehlten die Worte.
»Auswurf eines räudigen Straßenköters?«, schlug Der Naga vor.
»Hchhhh«, zischte die Peri Banu, verschränkte die Arme vor der Brust und warf den Kopf in den Nacken.
Der Naga betrachtete sie nicht ohne Wohlgefallen. Er beugte sich vor und schenkte roten Wein in die beiden Kelche, die zwischen ihnen auf dem niedrigen Tisch standen.
»Das heißt also nein«, sagte er. »Nun gut. Den Teppich hast du übrigens schon seit ein paar Jahrhunderten nicht mehr benutzt, meine Liebe. Du würdest ihn schwerlich vermissen.«
Sie würdigte ihn keiner Antwort, nahm den Kelch, den er ihr reichte, und trank schweigend. Ihre Blicke spießten Den Naga über den mit kostbaren Perlen besetzten Rand des Gefäßes hinweg auf.
Der Schlangengott dehnte sich mit lässiger Gebärde und legte dann die langfingrigen Hände über der Brust zusammen.
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