Die Versuchung
diesem Moment an etwas anderes denke als an meinen Vater, der auf dem Sterbebett liegt. Aber ich muss und will Ihnen sagen, dass meine Gefühle für Sie sich nicht verändert haben. Kehren Sie zu Ihrer Familie zurück und lassen Sie mich hoffen, dass Ihre Abneigung oder Ihre Gleichgültigkeit mir gegenüber im Laufe der Zeit ...“
„Glauben Sie mir, es ist weder das eine noch das andere“, sagte Isabelle. „Es ist nur … ich muss Ihnen sagen, dass ich … dass ich einen Anderen liebe.“
„Hamilton?“
Isabelle schwieg.
„Wenn Sie inzwischen mit ihm verlobt sind, dann sagen Sie es mir – dann weiß ich, dass ich meine Hoffnungen für immer aufgeben muss.“
„Wir sind nicht verlobt … Er kann sich nicht verloben … Er weiß nicht einmal … Er weiß nichts von meinen Gefühlen.“
„Liebe Isabelle … ich meine Mademoiselle Rosenberg … ich fürchte, Herr Hamilton wird Sie sehr bald vergessen, wenn er erst wieder in England ist“, sagte Zedwitz eindringlich. Und nach einer kurzen Pause: „Es tut mir sehr leid, aber ich muss gehen. Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn Sie Ihre Meinung ändern und doch nach München zurückkehren.“
Er nahm ihre Hand, küsste sie leidenschaftlich, drehte sich um und eilte aus dem Raum.
Nachdem Isabelle eine weitere halbe Stunde auf Hamilton gewartete hatte, kehrte sie in ihr Hotelzimmer zurück. Es vergingen weitere Stunden und allmählich wurde sie unruhig. Sie saß am Fenster und spähte hinaus in die Dämmerung. Ihr Herz wurde schwer und das Gefühl der Einsamkeit überwältigte sie. Endlich klopfte es an ihrer Tür und sie sprang erleichtert auf. Es war jetzt so dunkel im Zimmer, dass Hamilton nicht sehen konnte, dass sie geweint hatte.
„Soll ich die Lichter anzünden?“, fragte sie.
„Wenn Sie es möchten – aber mir ist die Dunkelheit lieber“, sagte er. Er wollte vermeiden, dass sie in seinen Augen etwas lesen könnte, was er ihr verschweigen wollte.
Sie setzte sich neben ihn und fragte nach einer Pause: „Sie waren lange weg. Gab es Schwierigkeiten mit der Bank?“
„Nein, überhaupt nicht.“
Nach einer weiteren Pause sagte er: „Ich habe gehört, dass die Baronin Walldorf ein Haus in Mainz besitzt. Es könnte also durchaus sein, dass sie länger dort bleibt. Mainz ist von Frankfurt allerdings nicht allzu weit entfernt.“
„Halten Sie es für nötig, dass ich ihr dorthin folge?“
„Es wäre vielleicht nicht nötig, aber es ist vermutlich kein Fehler. Wer weiß, wann Sie je wieder Gelegenheit haben, Mainz und den Rhein zu sehen.“
„Oh, ich würde zu gerne einmal eine Fahrt auf dem Rhein machen“, sagte Isabelle sehnsüchtig.
„Was mich angeht, so können wir gleich morgen aufbrechen“, erklärte Hamilton.
„Aber die Kosten ...“, sagte Isabelle zögernd.
„Denken Sie nicht daran. Ein Hotelzimmer in Mainz kostet nicht mehr als eines in Frankfurt.“
„Vielleicht sollte ich an meine Mutter oder an Mademoiselle Hortense schreiben ...“
„Es würde Tage dauern, bis Sie eine Antwort erhalten würden. Es sollte eigentlich auch nicht besonders wichtig sein, ob Sie sich der Baronin Walldorf nun in Frankfurt oder in Mainz vorstellen. Außerdem reisen Sie nicht allein.“
„Ja, vermutlich haben Sie recht. Natürlich wäre es unmöglich, mit Ihnen zu reisen, wenn wir nicht schon ein Jahr lang zusammen in einem Haus gelebt hätten, es wäre unschicklich. Aber so … Als mir Graf Zedwitz heute vorschlug, mit ihm nach München zurückzukehren ...“
„Zedwitz! Heute?“, wiederholte Hamilton erstaunt.
„Ja, er war heute Mittag hier, ich bin ihm durch Zufall begegnet … Er ist auf der Rückreise nach Edelhof und hat hier gegessen und die Pferde gewechselt. Er hat kurz mit mir gesprochen. Er riet mir ausdrücklich davon ab, meine Stelle bei der Baronin Walldorf anzutreten und schien seltsamerweise zu denken, sie sei absichtlich vor meiner Ankunft abgereist.“
„Das wäre seltsam, aber nicht ausgeschlossen … Hat er Ihnen den Grund für seine Vermutung genannt?“
„Nein, er hatte keine Zeit. Sein Vater liegt im Sterben, er hatte es deshalb sehr eilig, nach Hause zu kommen. Ich konnte ihm nicht einmal sagen, dass Sie hier sind ...“
„Isabelle, lassen Sie uns nach Mainz gehen“, sagte Hamilton nachdrücklich.
„Morgen früh, wenn Sie wollen ...“
„Nicht morgen früh – heute Abend – in einer Stunde – in einer halben Stunde!“
„Aber – es ist schon spät – es ist dunkel … Man hat mir gesagt,
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