Elizabeth - Tochter der Rosen
KAPITEL 1
Die Tochter des Königs · 1470
B LINDE KUH machte einen solchen Spaß mit meinem Vater! Ich versteckte mich hinter einer Säule und linste vorsichtig um sie herum. Er kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu und schlurfte im Gehen wie ein Blinder. »Elizabeth, Elizabeth!«, rief er. »Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.«
Ich lachte. Natürlich konnte er mich nicht sehen, denn ich hatte ihm die schwarze Augenbinde ja fest um den Kopf gewunden. Ich lief durch den Raum, kreischte vor Vergnügen und wich seinen tastenden Händen aus. Dann verbarg ich mich wieder hinter der Säule.
Als er in meine Richtung tappte, kam ich aus meinem Versteck hervor und flitzte um den großen Tisch in der Zimmermitte herum zur Fensterbank. Dort wartete ich. Ich strengte mich an, still zu sein, musste aber wieder und wieder kichern, wenn mein Vater gegen eine Wand stieß oder einen Leuchter umwarf. Mit niemandem wollte ich lieber spielen, nicht einmal mit meinen Schwestern Mary und Cecily, die jünger waren als ich. Sie weinten mir zu viel. Mein Vater hingegen lachte immerfort. Er war beinahe so groß wie der Drache, von dem eines seiner Märchen erzählte, nur dass Papa schön war, nicht furchterregend. Nein, er sah überhaupt nicht wie ein Drache aus, so wie ihm das blonde Haar über die Augenbinde fiel. Auch wenn ich das Blitzen in seinen blauen Augen hinter dem Schal nichtsehen konnte, umfing mich seine Liebe wie meine Lieblingsdecke, als er mich durch das Zimmer jagte.
Papa war nun nahe, als wüsste er, dass ich auf der Fensterbank stand. Ich blickte mich um, wo ich als Nächstes hinlaufen könnte. In die Ecke, hinter die Rüstung! Hastig kletterte ich von der Fensterbank und lief dorthin, quiekend vor Aufregung. Schmunzelnde Diener traten beiseite, um mich vorbeizulassen. Auch die Adligen, die sich in der letzten Stunde eingefunden hatten, lächelten mir zu.
Mein Vater drehte sich um. Hatte er Augen im Hinterkopf, dass er mich gesehen hatte? Wieder kam er in meine Richtung. Ich kreischte und rannte zur Silbervitrine an der gegenüberliegenden Wand. Dort kauerte ich mich neben die Kommode und machte keinen Mucks. Ich wagte nicht einmal zu atmen. Die Landsknechte an der Tür wandten sich zu mir und warfen mir ermunternde Blicke zu.
Noch mehr Adlige erschienen auf dem Gang. Das war ein schlechtes Zeichen. Bald würde mein Vater unser Spiel abbrechen und sich mit ihnen bei geschlossenen Türen am großen Tisch besprechen müssen. Aber vorerst legten sie ihre finsteren Mienen ab und schenkten mir ein freundliches Lächeln, als ich an ihnen vorbei in die Privatgemächer meines Vaters lief. Trotz seiner Augenbinde schien mein Vater genau zu wissen, wo ich war, denn er folgte mir. Mehrere Male erhaschte er mich fast, doch ich duckte mich weg, sodass er ein Stuhlbein anstelle meines Armes erwischte oder gegen eine Tischecke stieß. Ich war froh, mit ihm allein zu sein. Fern von seinen Lords, vergaß Papa sie vielleicht, und wir konnten noch ein wenig länger spielen.
In dem Zimmer standen nur das Bett mit den hohen Pfosten, eine große Kommode und einige breite Stühle. Vor dem Kamin lagen dicke Kissen. Auf dem Bett könnte Papa mich nie fangen,weil es riesig war und ich ihm dort mühelos ausweichen konnte. Also packte ich einen der Pfosten und sprang hinauf.
»Edward!«
Die scharfe Stimme meiner Mutter ließ mich erstarren. Ich hörte auf zu kichern, stand mucksmäuschenstill auf dem Bett und versuchte, auf der weichen Federmatratze das Gleichgewicht zu halten. Über das Bett war eine schimmernde Seidendecke mit goldenen Sonnen und weißen Rosen, dem Wappen meines Vaters, gebreitet. Ich lächelte nicht mehr, und auch mein Vater war ernst geworden. Er nahm die Augenbinde ab und sah meine Mutter an. Mit strengem Blick stand sie in der Tür. Ihr goldenes Haar umrahmte ihren Kopf wie ein Heiligenschein unter der kegelförmigen Samthaube mit dem dünnen Schleier. Im Gegensatz zu meinem Vater lächelte meine Mutter nur selten. Und nun, als sie ins Zimmer kam, wusste ich gleich, dass sie wegen etwas verärgert war.
»Edward, bisweilen verwunderst du mich! Du spielst Blinde Kuh mit Elizabeth, als plagten dich keinerlei Sorgen. Dabei wartet dein Rat auf dich, um dringende Angelegenheiten mit dir zu bereden.«
»Meine liebe Bess, welche Sorgen habe ich denn schon? Welche dringenden Angelegenheit dulden keinen Aufschub?« Papa lachte. »Herrscht nicht Frieden in meinem Königreich? Lieben die Adligen mich nicht ausnahmslos?«
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