Die Verwandlung - Blutsbande 1
mit großen Augen ansehen?
Idiot.
Ich warf das Handy auf den Couchtisch. Es rutsche über das Glas und in den Stapel mit Nathans Notizblöcken. Die Blätter fielen auf den Boden. Mit gerunzelter Stirn sammelte ich den Wust von Papieren auf. Ich nahm ein Blatt nach dem anderen und versuchte, sie wieder möglichst ordentlich übereinanderzulegen. Als ich den Stapel wieder auf den Tisch legte, fiel mir ein Ausdruck aus dem Internet auf. Es war ein Teil des Stadtplans, auf dem eine sehr reiche Wohngegend im Osten der Stadt abgebildet war. Mit einem roten Filzstift war ein großes rotes „X“ eingezeichnet.
Nun, das war ja interessant. Ich drehte das Blatt um, um zu sehen, welche Dokumente darunter lagen. Das nächste war ein Fax, das drei Tage, bevor ich von John Doe angegriffen worden war, abgeschickt wurde. Der Absender lautete VVEM, der Adressat N. Galbraith. Der Brief enthielt nur eine Adresse. Die Adresse auf der Karte.
„Ich dachte, er heißt mit Nachnamen Grant“, sagte ich bei mir. Ich wollte gerade umblättern, als das Mobiltelefon klingelte.
„Nate, ich bin’s. Ich stecke immer noch in der Notfallambulanz. Sie haben mich hier in einer kleinen Nische, die mit einem Vorhang abgetrennt ist, geparkt, und seitdem bin ich hier noch nicht herausgekommen. Ich glaube, sie rufen die Polizei.“
Ich nahm den Anruf an, als Ziggy Luft holte. „Nathan ist nicht hier. Dahlia hat meine Wohnung in Brand gesteckt. Er ist unterwegs, um nachzusehen, was los ist.“
„So ein Mist, wirklich? Und er hat dich dagelassen?“ Ziggy klang genauso erstaunt über Nathans Verhalten, wie ich es war.
„Er glaubt, ich könne mich nicht selbst verteidigen.“ Ich sah zum Computertisch hinüber, der in einer Ecke des Raumes stand. „Sag mal, hier ist gerade ein Fax angekommen, als er schon weg war. Von VVEM! Ist das die Bewegung?“
Er fluchte und es hallte durch die Leitung, was vermutlich an dem kahlen, sterilen Notfallzimmer lag. „Ja, das sind sie. Ich frage mich, was sie von ihm wollen.“
„Ich habe es nicht gelesen“, log ich.
„Es ist wahrscheinlich wieder ein Mordauftrag.“ Er räusperte sich. „Häng ihn einfach an den Kühlschrank. Da geht er nach einem Kampf zuerst hin.“
„Danke, Ziggy.“ Ich biss auf meine Lippe. „Wann genau hat er den Mordauftrag für Cyrus bekommen?“
„Den ersten? Ich weiß es nicht, bis jetzt müssen es vierzig oder so sein. Hey, hier will mir jemand Blut abnehmen, und sie finden es nicht so toll, dass ich mit einem Handy telefoniere, also …“
„Nein, der letzte Mordauftrag für ihn“, ich schrie quasi ins Telefon, „wann hat er den bekommen?“
„Warum?“ Ziggy hörte sich plötzlich nachdenklich an. „Vielleicht solltest du Nathan fragen, wenn er wieder da ist. Ich muss jetzt …“
„Ziggy, warte!“
Er hatte aufgelegt. Frustriert warf ich das Telefon auf den Boden. Das konnte kein Zufall sein, dachte ich mir, während ich auf den Stadtplan starrte. Wie groß waren die Chancen, dass er diese Nachricht für einen anderen Vampir als Cyrus bekam, drei Tage, bevor er ihn angriff?
Ich blätterte weiter. Da stand meine Antwort schon Schwarz auf Weiß.
Von: VVEM
An: N. Galbraith
Betreff: Fall Nr. 372-96, Kennziffer 9Y
Mordauftrag: Simon Seymour, auch bekannt unter den
Namen Simon Kerrick, Cyrus Kerrick, wegen Verbrechen gegen die Menschheit.
Da hatte ich es.
Schuldbewusst sah ich kurz zur Tür und fragte mich, wie lange Nathan wohl fortbleiben würde. Aber würde es ihn wirklich stören, dass ich nicht hier war, wenn er in sein Apartment zurückkehrte?
Ich erinnerte mich an seine herablassende Art von vorhin und entschied, dass es mir absolut egal sein konnte. Es ging ihn nichts an, und ich hatte nur noch einige wenige Tage, um zu entscheiden, ob ich der Bewegung beitreten wollte. Ich hatte es verdient herauszufinden, wie es zu meiner unfreiwilligen Geburt als Vampir gekommen war. Auch wenn mir Nathan sehr geholfen hatte, war es doch nicht sein Blut, das durch meine Adern floss.
Als ich an Cyrus dachte, erfüllte mich ein seltsamer Schmerz, und ich fragte mich, ob dies die Blutsbande waren, von denen Nathan gesprochen hatte. Und wenn es so war, würde mich diese magische Verbindung nicht eher vor meinem Schöpfer schützen?
Ohne mir mehr Zeit zu nehmen, mir darüber Gedanken zu machen, stopfte ich die Karte in meine Jeanstasche. Ich rief im Krankenhaus an, um Bescheid zu sagen, dass ich nicht zu meiner Schicht kommen könne. Als ich auflegte, überkam
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