Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
auf diesen Spott hin Beineberg ansah, bemerkte er, daß dessen Gesicht ganz starr wie in krampfhafter Aufmerksamkeit verzerrt war. Sm nächsten Augenblick fühlte er sich von eiskalten Fingern gefaßt. Törleß erschrak über diese hochgradige Aufregung; dann löste sich die Spannung der ihn umklammernden Hand. »Oh, es war nichts. Nur ein Gedanke. Mir war, als sollte mir etwas Besonderes einfallen, ein Fingerzeig, wie es zu machen sei. ...«
»Hörst du, du bist wirklich ein wenig angegriffen,« sagte Reiting in jovialer Weise, »sonst warst du doch ein eiserner Kerl und betriebst so etwas nur als Sport; jetzt aber bist du wie ein Frauenzimmer.«
»Ach was – du hast eben keine Ahnung, was das heißt, solche Dinge in der Nähe zu wissen, jeden Tag schon vor ihrem Besitze zu stehen!«
»Streitet nicht,« sagte Törleß – er war im Laufe der wenigen Wochen weit fester und energischer geworden – »meinetwegen kann jeder machen, was er will; ich glaube an gar nichts. Wederdeinen geriebenen Quälereien, Reiting, noch Beinebergs Hoffnungen. Und selbst weiß ich nichts zu sagen. Ich warte ab, was ihr herausbringt.«
»Wann also?«
Es wurde die zweitnächste Nacht bestimmt.
Törleß ließ sie widerstandslos an sich herankommen. In dieser neu entstandenen Situation war auch sein Gefühl für Basini völlig erkaltet. Das war sogar eine ganz glückliche Lösung, weil sie wenigstens mit einem Schlage von dem Schwanken zwischen Beschämung und Begierde befreite, aus dem Törleß durch eigene Kraft nicht herauskam. Jetzt hatte er wenigstens einen geraden, klaren Widerwillen gegen Basini, als ob die diesem zugedachten Demütigungen auch ihn beschmutzen könnten.
Im übrigen war er zerstreut und mochte an nichts ernst denken; am allerwenigsten an das, was ihn einst so beschäftigte.
Erst als er mit Reiting die Treppe zum Boden hinaufstieg, während Beineberg mit Basini schon vorausgegangen war, wurde die Erinnerung an das einst in ihm Gewesene lebhafter. Die selbstbewußten Worte wollten ihm nicht aus dem Kopfe, die er in dieser Angelegenheit Beineberg vorgeworfen hatte, und er sehnte sich, diese Zuversicht wieder zu gewinnen. Zögernd hielt er auf jeder Stufe den Fuß zurück. Aber die alte Gewißheit kehrte nicht wieder. Er erinnerte sich zwar aller Gedanken, die er damals gehabt hatte, aber sie schienen ferne an ihm vorüberzugehen, als seien sie nur die Schattenbilder des einst Gedachten.
Schließlich, da er in sich nichts fand, richtete sich seine Neugierde wieder auf die Ereignisse, die von außen kommen sollten, und trieb ihn vorwärts.
Mit raschen Schritten eilte er hinter Reiting die übrigen Stufen hinauf.
Während sich die eiserne Tür knarrend hinter ihnen schloß, fühlte er seufzend, daß Beinebergs Vorhaben zwar nur ein lächerlicher Hokuspokus sei, aber doch wenigstens etwas Festes und Überlegtes, während in ihm alles in undurchsichtiger Verwirrung lag.
Auf einem querlaufenden Balken nahmen sie Platz, – in erwartungsvoller Spannung wie in einem Theater.
Beineberg war mit Basini schon da.
Die Situation schien seinem Vorhaben günstig. Das Dunkel, die abgestandene Luft, der faule, süßliche Geruch, der den Wasserbottichen entströmte, schufen ein Gefühl des Einschlafens, Nichtmehraufwachenkönnens, eine müde, lässige Trägheit.
Beineberg hieß Basini sich zu entkleiden. Die Nacktheit hatte jetzt in dem Dunkel einen bläulichen, faulen Schimmer und wirkte durchaus nicht erregend.
Plötzlich zog Beineberg den Revolver aus der Tasche und hielt ihn gegen Basini.
Selbst Reiting neigte sich da vor, um jeden Augenblick dazwischenspringen zu können.
Aber Beineberg lächelte. Eigentümlich verzerrt; so als ob er es gar nicht wollte, sondern nur das Heraufdrängen irgendwelcher fanatischer Worte seine Lippen zur Seite geschoben hätte.
Basini war wie gelähmt in die Knie gesunken und starrte mit angstvoll aufgerissenen Augen die Waffe an.
»Steh auf,« sagte Beineberg, »wenn du alles genau befolgst, was ich dir sage, soll dir kein Leid geschehen; wie du mich aber durch den geringsten Widerspruch störst, schieße ich dich nieder. Merk dir das!
Ich werde dich allerdings auch so töten, aber du wirst wieder zum Leben zurückkommen. Das Sterben ist uns nicht so fremd, wie du meinst; wir sterben täglich – im tiefen, traumlosen Schlafe.«
Wieder verzog das wirre Lächeln Beinebergs Mund.
»Knie dich jetzt da oben hin,« – in halber Höhe lief ein breiter, wagrechter Balken, – »so –
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