Nördlich des Weltuntergangs
»D IE W ELT IST EIN ABSURDER O RT . Sie gibt die Themen vor«, sagt Arto Paasilinna und verrät, was uns in der nahen Zukunft bevorsteht. Wir befinden uns im Jahr 2014, und die Weltsituation gestaltet sich nicht wirklich erhei ternd: Es gibt zunehmend wirtschaftliche Schwierigkei ten, die europäische Einheitswährung verfällt, und die Stadt New York droht, im Müll zu versinken. Versor gungsengpässe, ja, Hunger bestimmen den Alltag der Menschen. Überall? Nein, denn im entferntesten Norden Europas ist aus dem letzten Willen eines trotzigen Fin nen ein kleines autarkes Dorf entstanden, dessen Be wohner sich nicht die Spur darum scheren, was im Rest der Welt passiert, und das Leben in vollen Zügen genie ßen. Nicht einmal der Ausbruch des dritten Weltkrieges, ein verirrter arabischer Flugkörper und eine Welle weib licher Flüchtlinge aus Indien und Pakistan können die Idylle stören. Doch dann taucht ein riesiger Meteorit am Himmel auf, der sich unaufhaltsam der Erde nähert und das Paradies im Land der Mücken und Saunen zu zer stören droht…
Arto Paasilinna, 1942 in Kittilä geboren, ist der populärste Schriftsteller Finnlands und wurde in Finnland, Italien und Frankreich mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er hat bereits 35
Romane veröffentlicht, von denen
viele verfilmt und ausnahmslos alle in die verschiedensten Spra
chen übersetzt wurden.
Arto Paasilinna
Nördlich des Weltuntergangs Roman
Aus dem Finnischen
von Regine Pirschel
edition Lübbe
editionLübbe
ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe
Copyright © Arto Paasilinna und WSOY, 1992
Die finnische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel MAAILMAN PARAS KYLÄ
bei WSOY, Helsinki, Finnland
Copyright © 2003 für die deutschsprachige Ausgabe: Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Aus dem Finnischen von Regine Pirschel
Schutzumschlag- und Einbandgestaltung: Guido Klütsch, Köln Umschlagbilder: © The Image Bank/Funk Mitch; © Photonica/Johner Satz: Kremerdruck GmbH, Lindlar-Hartegasse
Gesetzt aus der DTL Documenta
Druck und Einband: GGP Media, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 3-7857-1543-9
Asser Toropainen, der alte Kirchenbrandstifter, lag im Sterben. Man feierte die Karwoche, am folgenden Tag war Karfreitag.
Asser war unlängst neunundachtzig geworden. Wie es jetzt aussah, würde er die neunzig nicht lebend errei chen. Was sollte man da machen, auch der härteste Kerl musste irgendwann dran glauben.
Asser lag in der großen grauen Stube seines Hauses im Einöddorf Kalmonmäki im südlichen Kainuu. Die betagte Standuhr tickte in ihrem Gehäuse aus geflamm tem Birkenholz und maß die letzten Lebensstunden des Alten. Die weiblichen Familienmitglieder, die alten Schwestern und die Nichte, schlichen nur noch auf Strümpfen durchs Haus. In der Woche zuvor war ein Arzt vom Gesundheitszentrum aus Sotkamo da gewesen, um Assers Blutdruck zu messen. Das Messgerät war zersprungen, was als böses Omen gewertet worden war.
Behutsam hatte man dem Alten klar gemacht, dass dies möglicherweise sein letzter Winter gewesen war. Auch vom Besuch eines Geistlichen war die Rede gewe sen. Im Angesicht des Todes sollte sich der Mensch um seine himmlischen Beziehungen kümmern. Einem alten eingefleischten Kommunisten tue es sicher gut, seine Sünden zu bekennen, schon wegen des eigenen Seelen heils.
Asser ächzte in seinem Bett. So genannte Sünden hatte er im Laufe seines Lebens wohl begangen, das ließ sich nicht leugnen. Die Zeiten waren unruhig gewesen, das ganze lange Jahrhundert hindurch. Da war es oft genug heiß hergegangen. Asser hatte an sechs Kriegen teilgenommen. Auf mehrere Kontinente hatte es ihn verschlagen, er war von Murmansk bis Alaska, vom Ladoga bis nach Wladiwostok gereist. Sein grauer Kopf versuchte, die Erinnerungen heraufzuholen. Da waren Bilder und Geräusche: schneebedeckte Steppen, endlose Schienenstränge, rauchende Lagerfeuer, knatternde Gewehrsalven. Kieferflöße, die aneinander krachten, rauschende Wasserfälle, brennende Panzer und qual mende Kirchenruinen. Wolkenkratzer und Ozeandamp fer, fallendes Zuckerrohr und Mädchenköpfe, die ins Maisfeld sanken. Gutes und Schlechtes, ein ungestümes Leben, Zeiten des Übermuts, aber auch des schmerzli chen Elends. Ein ständiger Kampf eben, wie es sich für einen eingefleischten Kommunisten gehörte, Aufbegeh ren gegen Gott, die Geistlichkeit und die Kirche. Das war Asser Toropainen, ein Atheist unserer Zeit, der
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