Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
zwischen Verhätschelung und Unterforderung bzw. einer Aufzucht per Druck und Disziplin zu überwinden.
Albert Wunsch im Sommer 2012
Verwöhnung als Allroundkiller von Selbstkompetenz
Wenn du die Katze mit Leckereien fütterst, hört sie auf, Mäuse zu fangen. Ein Hund, der verwöhnt wird, hält keine Wacht.
Kodo Sawaki
Auslöser für eine Beschäftigung mit diesem Thema war folgende Beobachtung bei einer Tauffeier vor einigen Jahren:
Fast alle Kinder im Alter zwischen ein und fünf Jahren hatten in der Kirche eine Nuckelpulle mit Getränken in der Hand oder im Mund. Und jene Kinder, welche noch keine Getränkeration als Beipack hatten, brauchten nur in die Nähe ihrer Eltern zu kommen – und schon bekamen auch diese eine Flasche zugesteckt. 1 Ich dachte: Ist dies die Generation, welche nach dem Lebensprinzip ›Genuss sofort‹ heranwächst? Ob sich die Eltern der erzieherischen Wirkung ihres Tuns bewusst sind? Hatten sie schon einmal über die Auswirkungen nachgedacht? Denn um ein Trinken als Reaktion auf Durst konnte es sich nicht handeln. Es wirkte eindeutig wie eine Form der Ruhigstellung. Aber selbst wenn auch Trink-Interesse mit im Spiel gewesen wäre: Kann ein Kind eine knappe Dreiviertelstunde nicht ohne Anschluss an eine Getränke-Pipeline überleben?
In sich selbst kreisende erzieherische Verhaltensmuster
Diese Begebenheit wurde zur Basis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Verwöhnung. Sie mündete in den Artikel »Droge Verwöhnung« in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT . 2 Er löste nicht nur eine breite Diskussion aus, sondern wurde auch zur Basis für dieses Buch. Die prominenteste Reaktion kam von Altbundeskanzler und ZEIT -Mitherausgeber Helmut Schmidt. Sein Fazit an die Redaktion zur Weiterleitung an mich: »Dazu großes Lob! Der Mann hat in allen Punkten recht – bitte lassen Sie ihn meine Zustimmung wissen.« Trotz dieser Unterstützung ›von höchster Stelle‹ ist aber seit Jahren festzustellen, dass sich die Probleme zwischen Inkonsequenz und Überbehütung kräftig verstärken. ›Helikopter-Eltern‹ werden diese dauernd über ihren Kindern kreisenden – sich ständig sorgenden – Mütter und Väter wie zuerst in den USA mittlerweile auch hierzulande genannt. Sie spannen einen aus Unterforderung und Ängstlichkeit zusammengewebten Rettungs-Schirm über den Nachwuchs, welcher diesen von der Lebenswirklichkeit ausgrenzt: Diese Kinder werden bei jedem Pups hochgenommen, mit Spielzeugen überschüttet, per Lieblingsspeisen ernährt und bei kleinstem Unwohlsein in Watte gepackt. Der Schulranzen wird bis ans Pult getragen und beim ersten erahnten Regentropfen setzt der Fahrdienst ein. 3 Diese Eltern lösen stellvertretend die Mathe-Aufgaben, schalten bei schlechten Noten anstelle einiger Lern-Sonderschichten den Rechtsanwalt ein, stehen bei Streitigkeiten ungefragt auf der Seite des Nachwuchses, setzen auf Handyüberwachung, wollen zum ersten Date aus Sorge mitgehen und bestimmen das Datum für die erste Elternsprechstunde im Ausbildungsbetrieb bzw. in der Hochschule. Ja, sie laufen zur Höchstform auf, wenn’s beim Nachwuchs etwas zu schützen gibt oder durch Geld Wünsche erfüllt werden, oft als Folge eines schlechten Gewissens wegen zu großer zeitlicher Selbstüberlassung. Die Zielsetzung, Kinder und Jugendliche auf ein Leben in Selbstverantwortung und Eigentätigkeit vorzubereiten, wird so vereitelt.
»Umsorgt vom Kreißsaal bis zum Hörsaal – kommt jetzt die Generation Weichei?«, fragte die Sendung Hart aber fair im Sommer 2012. So kann keinesfalls die überall geforderte Adaptions-Fähigkeit bzw. Frustrations-Toleranz oder ein Bedürfnis-Aufschub entwickelt werden. Welche Basis benötigen also unsere Kleinen, um sich zu handlungs-fähigen und verantwortungs-bewussten Erwachsenen entwickeln zu können? Ist es der Schoß der Familie oder die staatlich geförderte Krippe? Was brauchen Kinder besonders in den ersten drei Lebensjahren? Welche Art des Umgangs mit Babys und Kleinkindern ist förderlich und was ist abzulehnen bzw. gefährdet ihre Entwicklung? Welche Gütekriterien zur Erziehung werden als Basis betrachtet?
Unterschiedlichste Wissenschaftler haben im Rahmen der Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung wichtige Grundbedingungen für aufnahmebereite Menschen verfügbar gemacht. Aber die Beobachtung von alltäglichen Erziehungssituationen in Familie, Kindergarten und Schule verdeutlicht durch immer umfangreicher zutage tretende Mangelsituationen
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