Die vierte Todsuende
erfindungsreichen Textdichter ein hübscher Song ein, nach dem Vorbild, ›Warte, warte nur ein Weilchen…‹ Das können Sie dann singen und werden ein Superstar!«
Sie bewegte sich so blitzschnell, dass keiner der drei Männer reagieren konnte. Statt um den Tisch herumzulaufen, warf sie sich vorwärts über die Platte hinweg auf Delaney, die Nägel wie Krallen in sein Gesicht schlagend. Er fuhr zurück, sein Stuhl fiel um, er zog sie mit sich zu Boden und hoffte dabei, seine Brille möge heil bleiben.
Boone und Jason zerrten sie von ihm weg. Sie wehrte sich wie wild, und gewaltsam drückten die beiden sie auf ihren Sessel und hielten sie da fest.
Delaney kam mühelos auf die Füße, stellte seinen Stuhl auf, prüfte die zum Glück nicht beschädigte Lesebrille und betastete die brennenden Krallenspuren in seinem Gesicht. Als er sah, dass seine Finger blutig wurden, betupfte er das Gesicht mit dem Taschentuch.
Er nickte den beiden Beamten zu. »Sie sehen, das ist der Jähzorn. Unbeherrschbar. Wie damals, als sie ihren Mann umbrachte. Sergeant, sehen Sie mal aus dem Fenster, ob die Herren von der Presse gekommen sind.«
Boone schaute auf die 84. Straße hinaus. »Alle da. Fotoreporter und Kameraleute vom Fernsehen.«
»Pünktlich. Sehr lobenswert. Mrs. Ellerbee, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie, da Sie eines Kapitelverbrechens wegen verhaftet werden, Handschellen tragen müssen.«
Sie blickte nicht auf, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und war in sich hineingekrochen, als fröre sie.
»Begreifen Sie endlich, was Sie getan haben«, sagte Delaney sanft und drückte das Taschentuch gegen sein Gesicht. »Sie haben einem Menschen das Leben genommen. Ihr Mann hat Sie betrogen, ja, aber war das ein Grund, ihn zu ermorden? Boone, sagen Sie Ihren Spruch auf.«
Der Sergeant trat heran und begann: »Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern…«
Delaney blieb sitzen, als sie abgeführt wurde. Lust, vom Fenster her dem Auftritt auf der Straße zuzusehen, verspürte er keine. Doch erhellten die Blitzlichter das Zimmer, und er hörte den Aufruhr. Der stellvertretende Commissioner Thorsen hatte seinen Part erfüllt.
Erwartete, bis es draußen ruhig wurde; das alles ging ihn nichts mehr an. Mochten Thorsen und Suarez den Rest übernehmen. Sein Auftrag war erledigt, und wenn das Ergebnis auch nicht so war, wie er es gewünscht hätte, sie hatten immerhin, was sie wollten.
Er betastete seinen Hinterkopf, der auf dem Fußboden aufgeschlagen war, als der Stuhl umfiel. Da würde er wohl eine Beule davontragen. Für diese Art Kindereien war er allmählich zu alt, das gestand er sich ein.
Es war nicht so sehr körperliche Erschöpfung, die ihm zu schaffen machte, und doch fühlte er sich ausgepumpt. Er brachte die Energie nicht auf, jetzt den Heimweg anzutreten, zurück zu seiner Frau und den Mädchen. Er nahm die Lesebrille ab und blieb einfach so sitzen, die Daumen in den Westentaschen und grübelte.
Barbara, seine erste Frau, hatte ihm einmal vorgeworfen, er führe sich auf wie Gottes Stellvertreter auf Erden. Das fand er nicht ganz gerecht. Es war von seiner Seite keine Hybris im Spiel, dessen war er gewiss, Pflichtgefühl war es im Grunde, was ihn vorantrieb. Aber wem er diese Pflicht schuldete, das hätte er nicht sagen können.
Obwohl er Mrs. Ellerbee vorgeworfen hatte, ihn zum Narren gehalten zu haben, empfand er ihr gegenüber mehr Mitleid als Wut. Wer wie sie ein so wohlbehütetes Leben geführt hatte, wusste einfach nicht, wie man sich bei Schicksalsschlägen verhält. Entschuldigungen ließen sich jede Menge finden, aber für ihn als altgedienten Polizisten gab es nur eine Richtschnur: Sie hatte gemordet, und dafür verdiente sie die gerechte Strafe.
Er rappelte sich hoch und machte, als wäre dies sein eigenes Haus, eine Runde durch die Räume, prüfte, ob Türen und Fenster gesichert waren. Dabei fiel ihm ein, dass weder sein Hut noch sein Mantel da waren, sondern in Jasons Wagen, der jetzt wohl vor dem Revier stand. Doch im Erdgeschoß fand er beides vor, sorgsam zusammengelegt auf einem Tischchen mit Marmorplatte. Die guten Jungens…
So trabte er denn nach Hause, gesenkten Kopfes, die Hände in den Manteltaschen. Wie viel von dem, was vorgegangen war, sollte er seiner Frau erzählen? Und er beschloss: Alles. Schließlich musste er die Kratzwunden in seinem Gesicht erklären. Wenn sie ihn dann für eine brutale und rachsüchtige Bestie hielt — nun, das musste er ertragen. Er hatte
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