Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
du vergessen, wie oft wir selbst geladen waren?«
»Jemand soll sie verklagt haben«, sagte Gret. »Weißt du davon, Vater?«
Natürlich wusste er. Es war ja schon Stadtgespräch. Die schöne und angesehene Agnes Imhoff wurde vor den Richter gezerrt. Um Betrug sollte es gehen. Und dann noch der seltsame Tod ihres Mannes. Zum Mäulerzerreißen gab es kaum Genüsslicheres.
»Nichts von Bedeutung, mein Schatz.« Von Homburg verabscheute jedes Getratsche, und in den langen Berufsjahren war ihm Verschwiegenheit zur zweiten Natur geworden.
»Hat jemand meine Lesegläser gesehen?« Als er sie nicht auf dem Tisch finden konnte und alle den Kopf schüttelten, erfasste ihn ein Anflug von Panik, denn ohne Lesegläser war das Arbeiten unmöglich geworden.
»Sie waren doch eben noch da.«
»Ihr habt sie am Hals baumeln, Herr«, sagte die Magd.
Tatsächlich. Erleichtert setzte er sich sein dunkles Barett auf den Kopf. Es ließ ihn größer erscheinen, wie er fand, und gab ihm etwas Würdevolles. Er beugte sich vor, um seine Töchter auf die Wangen zu küssen, nickte seiner Frau zu und verließ das Haus.
Die Familie von Homburg bewohnte ein geräumiges Anwesen in der Mühlengasse, an der Ecke zum Alten Markt und ganz in der Nähe des Doms. Mathis zog den breiten Pelzkragen der Schaube enger um den Hals, denn das schöne Oktoberwetter war einem grauen, nieseligen Tag gewichen, Vorbote des nasskalten Winters, wie er am Niederrhein üblich ist.
Doch das kühle Wetter tat ihm gut. Es ließ sich besser denken. Entgegen seinen üblichen Gewohnheiten entschloss sich Mathis zu einem Spaziergang, denn in Wahrheit hatte er gar keinen Termin am Vormittag. Mit dem gewaltigen Südturm des Doms im Rücken, der von einem hölzernen Baukran überragt wurde, marschierte er Richtung Rheinufer.
Gott bewahre, wenn Elspeth von den heimlichen Angelegenheiten erführe, in die er verwickelt war und die gefährliche Folgen für ihn und die Familie haben könnten.
Am Ufer angekommen, erfasste ihn eine Windböe, bauschte den Mantel, wollte ihm das Barett entführen. Es roch nach Fisch und Algen. Vor ihm auf dem Rhein, den Möwen gleich, schwankte ein Segel in der Brise und hielt gegen die Strömung an. Es war eines jener schlanken Flussboote, das sich geschickt mithilfe von Wind und Ruder an den Kai treiben ließ, wo fleißige Hände die Leinen fingen. Fröhliche Begrüßungen, Scherze flogen hin und her. Eine Weile schaute er zu, dann schlenderte er weiter.
Lastkähne wurden beladen, Fischer landeten ihren Fang, und die ersten Dirnen lauerten frierend auf ortsfremde Seeleute, denen die Heuer in der Tasche brannte. Das übliche Bild am Kölner Flussufer, dessen Einzelheiten er kaum wahrnahm, da ihn Wichtigeres beschäftigte.
Obwohl er jeden Sonntag zur Messe ging und oft mehr als andere dem Opferstock zuwendete, war er kein Eiferer im Glauben. Die Rituale ließen ihn ohne innere Beteiligung, in der Beichte sah er keinen Sinn mehr. Was ging es einen Pfaffen an, was er seinem Gott zu sagen hatte?
Im Gegensatz zu Elspeth, die streng an der alten Kirche festhielt, war ihm die Heuchelei der Geistlichkeit unerträglich geworden. Wie hatte man nur auf den aberwitzigen Einfall kommen können, Gottes Vergebung in Form von Ablassbriefen zu verkaufen, nur um in Rom das mit der Leichtgläubigkeit der Menschen ergatterte Geld bei Orgien und Festgelagen zu verprassen?
Irgendwann hatten ihn Luthers Gedanken beeindruckt. Trotz seiner gemäßigten Haltung und Abscheu gegenüber jeder Art von Aufruhr hatte er mehr über den neuen Wind erfahren wollen, der durch Gottes Kirche wehte, hatte Luthers Schriften gelesen, die im Stillen und unter der Hand herumgereicht wurden. Und aus anfänglicher Neugier war Überzeugung geworden. Die Neuordnung der Liturgie, die Abschaffung des Zölibats, die Rückbesinnung auf die reine Verkündung Jesu, all dies hatte ihn angesprochen. Wahrhaft begeistert aber war er über die neue Christenfreiheit, wie Luther sie verkündete. Niemand sollte mehr zwischen dem einzelnen Menschen und seinem Gott stehen. So war eines zum anderen gekommen, und nach ersten heimlichen Treffen hatte Mathis sich schließlich den Protestanten, wie sie sich nannten, angeschlossen. Niemand wusste davon, am wenigsten Elspeth.
Jetzt, siebzehn Jahre nach Luthers Thesen, war der Protest stärker denn je. Leider gab es neben besonnenen Stimmen auch wirre Volksverhetzer, die zu Brand und Bilderstürmen riefen. An vielen Orten war offener Widerstand ausgebrochen,
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