Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
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Martina André
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Peter Prange
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Titus Müller
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Heike Koschyk
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Lena Falkenhagen
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Alf Leue
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Caren Benedikt
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Ulf Schiewe
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Marlene Klaus
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Katrin Burseg
PROLOG
G eneigter Leser, teuerste Leserin, willkommen in Köln! Nur zu, treten Sie näher, betreten Sie Colonia Agrippina. Wir sind eine freie Reichsstadt, und jeder ist willkommen, vor allem, wenn er Handel zu uns bringt. Nun ja, nicht jeder. Ketzer sehen wir hier nicht so gerne. Vor ein paar Jahren hat unser Erzbischof Herrmann von Wied die Schriften Luthers öffentlich verbrennen lassen, aber das muss man verstehen. Mit dem Weiterbau des Doms will es einfach nichts werden, seit die Spenden und der Erlös aus dem Ablassgeschäft zurückgehen. Betrachten Sie doch das traurige Ergebnis: ein Südturm, der einem verfaulten Zahnstummel gleicht, mit einem Holzkran, der seit Jahren, ach was, Jahrzehnten vor sich hin modert; und ein Querhaus, das gibt es überhaupt nicht. Dagegen muss man etwas unternehmen, sonst ist unser Bestreben, den größten und schönsten Dom im Reich zu erbauen, bald endgültig zum Scheitern verurteilt.
Am heutigen Sonntag allerdings wird Seine Exzellenz der Erzbischof nicht über die Übel der Ketzerei predigen. Dass er überhaupt spricht, ist ungewöhnlich; an vielen Sonntagen lässt er sich vertreten, von seinem Koadjutor Adolf von Schaumburg. Das ist ein Mann mit Zukunft, heißt es bei uns in Köln, ein kluger, feiner Herr, der es noch selbst zum Bischof bringen könnte. Nun schaut er für gewöhnlich ernst drein, aber gar so viele Falten wie heute, die hat er sonst nicht auf der Stirn. Und sehen Sie, wie er zum Dom schreitet? Mit hängenden Schultern, als wäre er ein armer Sünder vor der Kirchbuße und nicht der engste Vertraute des Erzbischofs, dem er auch heute wieder bei der Predigt beistehen wird. Was sich dahinter wohl verbirgt, das möchten unsere klatschfreudigeren Mitbürger gerne wissen und beschließen, sich doch zur Sonntagsmesse sehen zu lassen. Womöglich liegt ihm der Tod des Tuchhändlers Imhoff im Magen, ist doch die Imhöffin sein Beichtkind und gewiss untröstlich. Auch wenn böse Zungen meinen, was sie am meisten vermissen werde, seien die rauschenden Feste, die ihr Gemahl zu veranstalten pflegte. Ganz in Brüsseler Spitze und Seide hat er sie immer gekleidet, der Andreas Imhoff, und wie gut hat sie es getragen! Eine Schönheit, unbestritten, unsere Agnes Imhoff, und so mancher Kölner hat den verstorbenen Andreas um sie beneidet. Und eine liebenswerte Gastgeberin war sie auch. Jeder ist gerne zu ihren Festen gegangen. Nicht, dass jeder eingeladen war. Ein Auge auf reiche Gäste hat Andreas Imhoff schon gehabt, oder wenigstens auf solche, die seinem Geschäft nützen konnten.
Der sehnige Kerl mit den aschblonden Haaren zum Beispiel, der jetzt gerade auf den Dom zueilt, der war eingeladen. Ein englischer Kaufmann, Richard Charman geheißen; niemand hat sich gewundert, dass er bei den Imhoffs gerne gesehen war, bei seinem Geld. An der Messe teilgenommen hat er dagegen noch nie, und es wundert, ihn heute hier zu sehen. Ob die Engländer noch als richtige Christen zählen, ist eine knifflige Frage, seit ihr fetter König Henry es sich in den Kopf gesetzt hat, sich selbst zum Oberhaupt seiner Kirche zu ernennen, obwohl er doch den Luther hasste wie die Pest. Aber nun herrscht ja seine älteste Tochter Maria, die eine ordentliche Katholikin ist, und vielleicht will Meister Charman sich schon einmal auf ein gut katholisches Leben einstimmen, ehe er auf seine Insel zurückkehrt. Nach der sauren Miene zu schließen, die er gerade zieht, stimmt ihn die Aussicht darauf nicht eben glücklich. Nehmt Euch zusammen, Gevatter! Wenn Seine Exzellenz predigt, gibt man sich als Zuhörer beeindruckt, will man hier in Köln weiterhin reüssieren. Der Mann, auf den Ihr gerade zueilt, wird Euch genau das Gleiche raten. Helmbert Bellendorf ist Anwalt, und er weiß, wie wichtig es ist, sich mit der Kirche gut zu stellen.
Er ist außerdem endlich einmal jemand, der freudig beschwingt durch die Gegend stolziert, statt schmerzlich die Augen zu verdrehen, und das heißt bei ihm gewiss, dass er einen neuen Fall am Haken hat. Einen fetten, einträglichen, denn für weniger ist er nicht zu haben, unser Meister Bellendorf. Schaut ihn an, geneigte Leserin, teurer Leser. Das ist spanische Seide, die er trägt, und sein Siegelring ist wuchtig genug, um auf drei Finger einer weniger zupackenden Hand zu passen. Ein solcher Mann übernimmt keine Fälle, bei denen er sich nicht einen klaren Sieg verspricht.
Gespannt ist man bei unseren Kölnern schon sehr, denn die Gerüchteküche hat seit dem Tod des
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