Die Violine des Teufels
willen, hoffentlich legt sie keine Musik auf!« Zu seiner Erleichterung wurde sein stummes Flehen erhört, denn Milagros wollte die Anlage lediglich ausschalten. Dann setzte sie sich sehr dicht neben ihn, so dass Perdomo beinahe ihre Körperwärme spüren konnte.
»Ich habe es in der Zeitung gelesen. Und da war auch das schreckliche Bild von Rescaglio am Flughafen. So viel Blut!«
»Es war wirklich grauenvoll. Aber du? Wie geht es dir? Hast du dich von dem Schrecken vor Paganinis Haus erholt?«
»Ja, ich habe eine sehr kräftige Konstitution. Aber jetzt erzähl doch mal. Was ist am Flughafen genau passiert?«
»Willst du wirklich, dass ich dir Rescaglios Tod in allen Einzelheiten schildere? Sag mir lieber, ob du glaubst, dass alles miteinander in Verbindung steht, Paganinis Haus, deine außersinnliche Wahrnehmung, die Teufelsgeige …«
»Es war zweifellos entscheidend, dass ich ausgerechnet in dem Haus ein so einschneidendes Erlebnis hatte, in dem einhundertfünfzig Jahre früher die Geige gestohlen wurde. Und es gibt nur eine mögliche Erklärung dafür, dass ich Roskopfs Präsenz im Chorsaal so deutlich wahrgenommen habe: Er hatte den Saal noch nicht verlassen und wäre beinahe von Agostini entdeckt worden, als der rein zufällig die Tür öffnete, weil er sich verlaufen hatte. Zum Glück für ihn war Roskopf da bereits auf der Treppe und konnte sich zwischen den Stuhlreihen verstecken.«
»Das heißt, die ganze Zeit über, die Agostini sich im Chorsaal aufhielt, war Roskopf ganz in seiner Nähe«, folgerte Perdomo. »Und wenn der Maestro das Pech gehabt hätte, ihn zu entdecken, hätten wir nicht eine, sondern zwei Leichen gefunden.«
»Aber wo ist die Geige, die Roskopf gestohlen hat?«
»Bei Gericht. Sobald der Richter es für richtig hält, wird man sie Larrazábals Eltern zurückgegeben, die jetzt die rechtmäßigen Eigentümer sind. Wahrscheinlich wird der Vater sie loswerden wollen, denn sie finden ja, dass die Geige eine schlechte Ausstrahlung hat, wie Carmen Garralde mir erzählt hat. Wer weiß? Vielleicht endet sie schließlich doch noch bei Suntori Goto, jedenfalls ist sie wahrscheinlich diejenige, die bereit wäre, am meisten Geld dafür auszugeben.«
Perdomo befand sich erst fünf Minuten bei Mila, da merkte er, dass es ihr wie immer gelang, dafür zu sorgen, dass er sich in ihrer Gegenwart wohl fühlte. Zu seiner Verwunderung wünschte er sich sogar, der Patient, auf den sie wartete, möge gar nicht kommen.
»Rescaglios letzte Worte waren: ›Jetzt müssen Sie mir helfen‹«, begann Perdomo, die Ereignisse zusammenzufassen. »Ich wusste sofort, was er von mir wollte: Ich sollte ihm helfen, zu sterben, denn er muss unglaubliche Schmerzen gehabt haben. Larrazábals Vater hat mir neulich das Seppuku erklärt. Das Ritual sieht tatsächlich vor, dass noch eine vertrauenswürdige Person anwesend ist, die dem Selbstmörder dann hilft.«
»Ist er dort gestorben?«
»Nein, im Krankenhaus, erst nach mehreren Stunden. Der Tod durch Seppuku dauert so lange und ist so grässlich, dass nicht einmal die klassischen Samurais sich dem stellen wollten. Das Bushido, ihr Ehrenkodex, sah die Anwesenheit eines Kaishaku-Nin vor – eines Sekundanten, der ihr Leiden abkürzt. Er stellte sich mit einem Katana in den Händen daneben und schlug dem Sterbenden auf dessen Zeichen hin den Kopf ab. Manche gingen gar nicht so weit, sich das Tantō in den Leib zu rammen, sondern wiesen ihre Sekundanten an, ihnen den Kopf abzuschlagen, sobald sie nur mit dem Messer ausholten. Gestern Nachmittag am Flughafen wollte Rescaglio, dass ich seinen Kaishaku-Nin spiele.«
»Und du wolltest ihm nicht helfen, zu sterben?«
»Die Schmerzensschreie dieses armen Teufels waren so grauenvoll«, erwiderte Perdomo, »dass mir tatsächlich der Gedanke durch den Kopf geschossen ist, seinem Leiden mit der Waffe ein Ende zu setzen, das will ich nicht leugnen.«
»Mit anderen Worten: Wenn dir vollständige Straffreiheit garantiert worden wäre, hättest du es getan?«
»Möglich, aber sicher bin ich nicht. Aber es war nicht nur die Angst vor den rechtlichen Konsequenzen, was mich davon abgehalten hat. Ein Teil von mir wollte diesem Grauen ein Ende setzen, weil ich wusste, dass Rescaglio mit solchen Verletzungen kaum eine Überlebenschance hatte. Aber andererseits hatte ich doch die Hoffnung, er würde überleben, damit er vor Gericht gestellt werden konnte und danach Gelegenheit hätte, sein Verbrechen zwanzig Jahre lang zu bedauern.
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