Die Violine des Teufels
Heilmittel gegen multiple Sklerose entdeckt hat?«
»Ich habe für Science-Fiction nichts übrig, Signor Poliziotto «, entgegnete Rescaglio trostlos.
»Oder wenigstens ein Medikament, das es den Patienten ermöglicht, ein annehmbares Leben zu führen, wie es bei Aids-Kranken der Fall ist«, beharrte Perdomo.
»Ein annehmbares Leben? Kennen Sie die Symptome der multiplen Sklerose? Verlust des Gleichgewichts, Zittern, Schwindel, Sehstörungen, unkontrollierte Augenbewegungen … und das sind nur die leichtesten, Perdomo. An dem Abend, an dem sie starb, hatten die unkontrollierten Augenbewegungen bereits eingesetzt. Es fiel mir in der Garderobe auf. Und auch dafür, dass ihr später auf der Bühne die Geige aus der Hand gerutscht ist, war die Krankheit verantwortlich.«
Voller Verachtung starrte Perdomo Rescaglio an.
»Sie hatten nicht einmal den Mut, es selbst zu tun. Sie mussten sich eines anderen bedienen.«
»Der gute Georgy! Vor ein paar Monaten hat er mir einmal bei einer Probe erzählt, dass er sich entschieden hatte, eine Kampfsportart zu lernen, weil Russland sich in einen sehr unangenehmen Ort zum Leben verwandelt hat. Die gefährlichste Stadt Europas, wenn Sie so wollen.« Rescaglio hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Georgy hat damit geprahlt, dass er einen Menschen innerhalb von Sekunden umbringen könnte – halb im Scherz, halb ernst gemeint. Wochen später habe ich ihm dann von Anes Krankheit erzählt und ihm erklärt, dass ihr Tod notwendig wäre, um ihr einen endlosen Todeskampf zu ersparen. Zuerst war er entsetzt und hat sogar daran gedacht, mich anzuzeigen. Aber als ich ihm versprach, dass er zum Lohn ihre Stradivari bekommen würde, konnte er nicht widerstehen.«
Rescaglio begann, den Cellobogen abzuspannen, um ihn im Koffer zu verstauen. Hierzu drehte er an der entsprechenden Schraube, bis die Rosshaare völlig schlaff waren. Dann drehte er die Schraube ein Stück in Gegenrichtung, um die Haare wieder ein wenig zu spannen, doch nicht so stark, dass sie reißen konnten. Er schien keine Schmerzen mehr zu haben, und in seinen Bewegungen kam eine Kaltblütigkeit zum Ausdruck, die Perdomo einen eisigen Schauder über den Rücken laufen ließ.
»So, Inspector, ich denke, es hat keinen Sinn, diesen angenehmen Plausch weiter in die Länge zu ziehen. Ich nehme an, das Cello kann ich nicht mitnehmen.«
Perdomo schüttelte knapp den Kopf.
»Wenn ich meinen Freund schon der Obhut der Polizei anvertrauen muss, wird es besser sein, wenn ich ihn in seinen Koffer lege, wo er gut geschützt ist. Manche Leute brauchen eine Ewigkeit, bis sie herausfinden, wie man ein Cello im Cellokasten verstaut.«
Rescaglio legte sich das Instrument über die Knie, um den Stachel, mit dem das Cello auf den Boden gestellt wurde, bequemer einfahren zu können. Während er die Schraube losdrehte, sah er Perdomo amüsiert an.
»Irgendwann kam ich mal auf die Idee, das Cello umzudrehen, um den Stachel leichter hineinschieben zu können. Am Ende ist der Stachel ganz in den Korpus hineingerutscht und hat ihn so stark beschädigt, dass die Reparatur mich ein Vermögen gekostet hat. Und obendrein musste ich das Konzert absagen. Ohne Stachel kann ich nicht spielen, Inspector! Und nicht nur das, ich glaube sogar, dass ich ohne diesen speziellen Stachel nicht spielen kann. Möchten Sie wissen, warum?«
Anstatt den Metallstab in das Instrument hineinzuschieben und mit der Feststellschraube zu sichern, zog Rescaglio ihn ganz heraus und zeigte Perdomo eine rund um den Stachel verlaufende Kerbe, von Hand in den letzten Abschnitt des Stachels geritzt.
»Das ist mein persönlicher Abstand. Nur mit dieser Stachellänge fühle ich mich wohl. Jeder hat da seinen eigenen Abstand. Rostropowitsch zum Beispiel hat ihn immer praktisch ganz herausgezogen.«
Nun holte Rescaglio ein großes Taschentuch aus der Tasche und rieb den Stachel damit ab, als wollte er ihn zum Glänzen bringen. Dann packte er das Cello am Griffbrett und verstaute es im Cellokoffer, ohne den Stachel wieder ins Cello zu stecken. Schließlich warf er Perdomo einen rätselhaften Blick zu und sagte mit dem gleichen heiteren Lächeln, das beim Spielen von Der Schwan auf seinem Gesicht gelegen hatte: » Arrivederci. Es wird Zeit, dass ich mich mit meiner Geliebten vereine.«
Mit beiden Händen packte er den Cellostachel und wickelte ihn in das Taschentuch. Dann kniete er sich auf den Boden, rammte sich den Stachel mit Wucht links in den Bauch und zog ihn dann mit aller
Weitere Kostenlose Bücher