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Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Titel: Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Àngels Anglada
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entweder spät in der Nacht zurückkam oder aber eine seiner kleinen Orgien im Haus feierte. Und um ihn nicht aufzuwecken, durften die Sklaven wesentlich später beginnen. Diese kleinen Vorteile, immer mit der Angst verbunden, sie könnten irgendwann vorbei sein, waren die einzigen Hoffnungsschimmer, an die Daniel sich klammern konnte; er wollte nicht darüber hinaus nachdenken, sich nicht an viel erinnern, selbst die schmerzhaften Stiche nicht wahrhaben, die manchmal seinen Körper zusammenkrampfen ließen; sich nicht nach Eva sehnen, die vielleicht schon tot war, mit der er jetzt verheiratet wäre, wäre nicht Krieg. Bloß nicht an ihre Umarmungen der letzten Zeit denken, an ihre warmen Lippen, als die ersten Wochen des steifen Umgangs miteinander vorüber waren, nachdem der Vermittler sie einander gemäß dem Brauch der Gemeinde vorgestellt hatte.
    Heute fühlte er sich so schwach, dass es ihm wie aus einem anderen Leben, wie von einer anderen Person zu stammen schien, jemals Begierde, jemals Lust empfunden zu haben. Bloß eine gewisse Wut hielt ihn noch auf den Beinen, denn er wollte diesen Hyänen , den Befehlshabern und Kapos nicht das Spektakel seiner Ohnmacht gönnen. Gegen seinen Willen schweiften seine Gedanken ab zu den ersten Wochen seiner Internierung im Dreiflüsselager , als er eines Abends noch einen flüchtigen Kontakt mit irgendeiner Lagerinsassin gehabt hatte, verborgen hinter einem Verschlag. Bald darauf allerdings hatten sie Männer und Frauen durch einen elektrischen Zaun getrennt, bei dessen Errichtung sie selber hatten mithelfen müssen. Doch angesichts seiner schwindenden Kräfte war es ihm inzwischen gleichgültig.
    Hunger plagte ihn. Er war jung und wollte leben. Das Mittagessen würde den Hunger bloß täuschen.Vielleicht würde ihm die Köchin heimlich ein paar Reste zustecken, manchmal wagte sie es, wenn Er sich nach dem Essen zum Lesen zurückzog. Fünf Stunden Arbeit mit nichts als einem wässrigen Kaffee-Ersatz und einem Stück Brot im Magen ließen ihn beinahe zusammenbrechen.
    Als sie gerade aus der Diele hinausgehen wollten, rollten plötzlich, von lautem Gelächter begleitet, drei goldene Äpfel zu Boden – eine Sinnestäuschung? Seine Kameraden und er krochen auf allen vieren, um sie zu erhaschen, während sich der Kommandant damit vergnügte, sie mit den Füßen wegzuschießen. Daniel fühlte sich keineswegs in seinem Stolz verletzt, als er sich bückte, um einen Apfel zu erwischen. Die Schande lag bei demjenigen, der sich über seinen Hunger lustig machte. Ein riesiger schwarzer Stiefel bedrohte seine Hand, zog sich aber schließlich zurück, um die Frucht noch weiter wegzustoßen, doch es gelang Daniel, sie an sich zu reißen. Man nahm ihn nicht fest, man hetzte auch nicht die Hunde auf ihn, als er in den Apfel hineinbiss, denn Er war eindeutig in guter Laune aufgestanden. Der Grund dafür wurde klar, als eine Frauenstimme von oben nach ihm rief. Offensichtlich hatte die schöne Prostituierte seinen Wünschen entsprochen, und man würde ihn und die anderen nun vielleicht zwei oder drei Tage schonen.Vielleicht.
    Der Nachmittag zog sich in die Länge, trotz der Erinnerung an den Apfel.
    Nach den Tagen, die er im Arrest verbracht hatte, kam ihm selbst seine Pritsche in der Baracke weich vor. Und er empfand die Anwesenheit der Kameraden, die mehr oder weniger genauso verlaust und schmutzig waren wie er, als vertraut und tröstlich.
    Diesmal weckte man ihn. Er durfte nicht noch einmal verschlafen! Denn sonst hätte ihn niemand mehr vor der gefürchteten Züchtigung schützen können, und der Blick des Arztes Rascher hatte nichts Gutes verheißen. Obwohl ihn die Schläge noch schmerzten, hatte er die Nacht durchschlafen können und war, vielleicht weil er nicht allein war, auch von keinen Alpträumen geplagt worden. Der Schreiber ihrer Baracke hatte ihn, als er ihn weckte, aus einer anderen Welt zurückgeholt. Im Traum war er in seiner säuberlich geordneten Werkstatt gewesen und hatte inmitten der ihm wohl bekannten und geliebten Gerüche der Hölzer, Leime und Lacke an einer Bratsche gearbeitet – was für ein Unterschied zu dem Mief in der Baracke. Im oberen Stockwerk hatte seine Mutter beim Vorbereiten des Mittagessens vor sich hingeträllert, das ebenfalls einen köstlichen Duft verströmte. Lauter beglückende Sinneseindrücke waren ihm vergönnt gewesen: Die Sonne vergoldete die Hölzer und entlockte ihnen ein Schimmern wie das der Abenddämmerung; warme rötliche Farben

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