Die Voliere (German Edition)
ein benutztes Messer, ein mit Brotkrümeln übersätes Schneidebrett und – ein wenig ungewöhnlich – eine kleine Pfanne auf dem Herd mit etwas, das wie gebratenes Fleisch aussah. Nun nahm Hartmann auch zum ersten Mal bewusst den würzigen Geruch wahr, der das Erdgeschoss erfüllte.
Er öffnete eine zweite Tür, die vom Flur abging – und sah die Treppe, die in den Keller hinabführte. »Wir fangen unten an«, befahl er und nahm bereits die ersten Stufen.
Im Untergeschoss fanden sie einen Heizungskeller, einen weiteren Vorratsraum und eine Waschküche vor. Die vierte Tür war abgeschlossen, der Schlüssel fehlte.
Hartmann versuchte, durch das Schlüsselloch zu spähen, doch es schien von innen verdeckt zu sein. Ein seltsames Brummen war hinter der Tür zu vernehmen.
Hartmann hämmerte dagegen. »Ist da jemand?«
Kein Laut.
Hartmann holte aus und trat mit voller Wucht gegen die Tür. Die Klinke löste sich und fiel klirrend zu Boden, eines der Scharniere riss aus und die Tür knirschte in den Angeln, als sie sich in der Zarge verklemmte und den Eingang zum Raum blockierte. Eine ganze Wolke schillernder Schmeißfliegen bahnte sich ihren Weg in den Flur.
Die Polizei hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte. Doch sie waren zu spät gekommen, die beiden Jungen waren tot. Denn was der Gymnasialreferendar für Kunst und Deutsch Adam Richard Lefeber ihnen angetan hatte, konnte kein Mensch überleben.
*
Hartmann nahm kaum etwas von seiner Umgebung wahr. Er fühlte sich wie betäubt, in einen Kokon eingesponnen, isoliert von der Außenwelt. Das atmosphärische Knistern und die formelhaften Anweisungen im Polizeifunk stellten kaum mehr als ein Hintergrundgeräusch dar.
An den Seitenfenstern des Einsatzwagens glitten die Leitplanken der A 661 vorüber, ein endloses schmutzig graues Metallband. Die wenigen Luxuskarossen, die auf der Überholspur unterwegs waren, wichen erschrocken zur Seite, sobald sie das Blaulicht im Rückspiegel aufblitzen sahen. An der Anschlussstelle Friedberger Landstraße verließ Hartmann die Autobahn, zwei Kilometer noch bis zum Nibelungenplatz und dann wenige Meter bis zum Rose-Schlösinger-Gymnasium.
Hartmanns Miene war starr, aber in seinem Inneren tobte ein Sturm. In den Jahren, in denen er bei der Frankfurter Kripo arbeitete, hatte er aus erster Hand erfahren, was Menschen einander antaten, wenn sie gierig, wütend oder sexuell enthemmt waren. Aber was er im Hobbyraum des rosenumrankten Riedberger Reihenhauses vorgefunden hatte, überstieg seine schlimmsten Vorstellungen.
Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Zorn zu bändigen. Zum Glück saß er alleine im Auto. Alleine mit den grauenerregenden Bildern von zwei zwölfjährigen Jungen, gefesselt auf einander gegenüberstehenden gynäkologischen Untersuchungsstühlen, die Leichen übel zugerichtet.
Hartmann hielt sich für hartgesotten, doch selbst Felix Abel, mit fünfzehn Dienstjahren mehr auf dem Buckel, hatte beim Anblick der gemarterten Kinder überstürzt den Keller verlassen. Hartmann hatte ihn vor dem Haus gefunden, eine Zigarette in den zitternden Fingern, mit unablässig mahlenden Kiefern.
Glauburgstraße. Weberstraße. Rechts abbiegen. Er parkte den Wagen direkt in der Feuerwehrzufahrt. Der Schulhof war menschenleer, der Unterricht hatte vor einer Stunde begonnen. Auf der anderen Straßenseite konnte die Zivilstreife mit den Kollegen an der Straßenecke ein weiteres Polizeifahrzeug ausmachen, ebenfalls in Zivil.
Hartmann stieg aus und nickte deutlich sichtbar. Sofort sprangen die Türen der Autos auf, und wie zuvor in der Renoirallee tauchten ohne Ankündigung zwei Krankenwagen und ein Notarztwagen sowie mehrere Streifenwagen auf und rollten auf den Eingang des Schulhofs zu. Ein Kindergesicht tauchte hinter einem Fenster im Obergeschoss auf, dann erschienen Dutzende weitere Köpfe, die jedoch ebenso schnell wieder verschwanden – vermutlich hatten die Lehrer ein Machtwort gesprochen. Hartmann bedeutete den Kollegen, auf dem Gehweg zu warten und betrat den Schulhof.
Kaum hatte er das Funkgerät abgesetzt, schwang die dunkle Holztür des Haupteingangs auf und Lefeber trat schwungvoll heraus. Noch bevor er die erste Treppenstufe erreichte, entdeckte er hinter der Schutzmauer das Blaulicht des Krankenwagens, und dann Hartmann. In der Morgensonne funkelten die grünen Augen des Lehrers wie Turmaline.
Hinter der Glasfront der Tür erschien eine rote Lockenmähne, das musste Ina Franke sein. Lefeber machte auf dem Absatz
Weitere Kostenlose Bücher