Die Voliere (German Edition)

verglich die Bilder. Nicht einmal mehr der Blick aus Rosens Augen war derselbe. »Zwei völlig verschiedene Menschen.«
    Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. Nora stellte die leere Tasse ab. Gleich würde sie Brunos Apartment und sein Leben verlassen.
    »Erst als klar wurde, dass man ihn gemeinsam mit Lefeber und Tibursky freilassen musste, kam es mir vor, als würde ich aus einem Traum erwachen. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich den letzten Wunsch meiner Mutter nicht erfüllen konnte. Doch nun rückte dieses Ziel wieder in greifbare Nähe.«
    Sie hatten die Wohnungstür erreicht. Auf dem Vertiko stand nach wie vor Katharina von Kolbachs Porträt. Und daneben nun ein Glasgefäß in Form einer Urne mit einem Zierdeckel, die sich unten verjüngte. Im Inneren des Behälters befand sich Erde, schwarze Krumen, fruchtbar wie Humus.
    »Die Kollegen sind noch dabei, das Gebiet, das Rosen uns genannt hat, umzugraben.«
    »Ach ja?« Der Blick aus Brunos Augen war unergründlich.
    »Bis jetzt nichts. Keine Spuren, keine Überreste, kein Geld.«
    »Danke, dass du noch einmal gekommen bist, Nora«, sagte er mit einem feinen Lächeln.
    Sie umarmten oder küssten sich nicht zum Abschied, sondern gaben sich die Hand wie Bekannte. Dann verließ Nora Brunos Wohnung. Auf dem Telefonschrank neben der Tür lag ein Brief. Den Absender konnte sie nicht erkennen, aber auf dem Umschlag befand sich ein Siegel mit dem rot-blauen Wappen der hessischen Justiz und dem Wort Geprüft. Der Umschlag war geöffnet und mit transparentem Klebeband wieder verschlossen worden.
    Nora nahm die Treppe ins Erdgeschoss und verließ das Gebäude an der Hafenmole. Noch bevor sie am Steuer ihres Wagens saß, hatte sie eine SMS mit nur zwei Wörtern verschickt:
    Figaros Hochzeit?

Epilog
    Heinz Rosen wurde wegen Störung der Totenruhe in zwei Fällen nach § 168 StGB zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im Anschluss an die Untersuchungshaft wurde er in eine Außenwohngruppe der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Frankfurt verlegt, wo er heute lebt.
    Dr. Alexander Broussier, für den Posten des hessischen Innenministers designierter Kandidat der Konservativen, wurde nach dem überraschenden rot-grünen Sieg bei der hessischen Landtagswahl 2013 Vorsitzender der CDU-nahen Kurt-Georg-Kiesinger Stiftung für politische Bildung mit Sitz in Berlin.
    Die Ermittlungen zum Tod von Wolfgang Tibursky wurden nach zwölf Monaten auf Betreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz eingestellt. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Zuge der Vorgänge rund um die NSU genannte rechtsextremistische terroristische Vereinigung ist geplant.
    Polizeiobermeister Gaetano Martinez zog sich beim Sturz der sogenannten Teufelseiche auf den Einsatzwagen im Scheelbacher Forst zwei gebrochene Rippen und eine schwere Gehirnerschütterung zu. Im Ermittlungsbericht war später von einem Wunder die Rede.
    Die Leiche der 1986 entführten Bankierstochter Katharina von Kolbach wurde auch bei einer groß angelegten Suchaktion nicht aufgefunden, bei der hundertzwanzig Beamte der hessischen Polizei ein Waldgebiet in der Nähe von Mühltal am Fuße der Burg Frankenstein durchkämmten.
    Am Umgang unserer Gesellschaft mit den Menschen, die erhebliche Straftaten begangen haben, zeigt sich, ob wir bereit sind, die Forderungen des Grundgesetzes nach Schutz der Menschenwürde, Gerechtigkeit und Teilhabe für alle Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen.
    Aus dem sogenannten Greifswalder Appell, der bisher von hundertzehn Personen unterzeichnet wurde, darunter Wissenschaftler und Rechtsanwälte, Seelsorger und Anstaltsleiter, Staatsanwälte, Politiker und Richter. In dem am 18. Mai 2010 veröffentlichten Dokument sprachen sich die Teilnehmer einer internationalen Forschungstagung dafür aus, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen eine nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung besonnen umzusetzen.
    Der von Bruno Albrecht geäußerte Satz »Wenn man mit Ungeheuern kämpft, muss man aufpassen, dass man nicht selber eines wird« stammt in seiner ursprünglichen Form aus Jenseits von Gut und Böse von Friedrich Nietzsche aus dem Jahr 1886.

Danke
    Bei den folgenden Personen möchte ich mich herzlich für ihre Unterstützung bedanken:
    Bärbel Arendt
    Peter Asprion
    Ursula Bischoff
    Susanne Bürgel
    Jana Kreuter und Ulrike Rodi
    Marion Künzel
    Gaby Mayer
    Hendrik Nachtsheim
    Holger-Karsten Schmidt
    Stephan