Die volle Wahrheit
teilnahmen und bei der es um irgendeine unwichtige Angelegenheit ging. Gutenhügel stritt mit dem Stinkenden Alten Ron und dem Stinkenden Alten Ron – Ron war durchaus imstande, mit sich selbst zu streiten. Die Zwerge arbeiteten hart an der Presse. Otto hatte sich in seine dunkle Ecke im Keller zurückgezogen, wo er ebenfalls harte – und geheimnisvolle – Arbeit leistete.
Nur Rons Hund beobachtete ihn. Für einen Hund, so fand William, hatte er einen sehr unverschämten und wissenden Blick.
Vor einigen Monaten war William zum dritten Mal in diesem Jahr jemandem begegnet, der ihm die Geschichte von einem sprechenden Hund in der Stadt erzählte. Er hatte erwidert, dass es sich dabei um einen urbanen Mythos handelte. Immer war es der Freund eines Freundes, der den Hund sprechen gehört hatte, und nie gab es einen Augenzeugen. Der Hund vor William sah nicht so aus, als könnte er sprechen, aber er schien sehr wohl in der Lage zu sein zu fluchen.
Solche Geschichten fanden offenbar nie ein Ende. Die Leute schworen, dass es einen Erben des alten Throns von Ankh gab, der unerkannt in der Stadt lebte. Es fiel William nicht weiter schwer, Wunschdenken als solches zu erkennen. Dann gab es da die alte Kamelle über einen Werwolf, der angeblich zur Wache gehörte. Bis vor kurzer Zeit hatte er solche Berichte für Unsinn gehalten, aber jetzt begann er zu zweifeln. Immerhin arbeitete ein Vampir für die Times…
Er blickte ins Leere und klopfte mit dem Stift an seine Zähne. »Ich statte Kommandeur Mumm einen Besuch ab«, sagte William. »Das ist besser, als sich zu verkriechen.«
»Wir bekommen alle Arten von Einladungen«, meinte Sacharissa und sah von ihren Papieren auf. »Nun, wenn ich von Einladungen spreche… Lady Selachii hat uns befohlen, an ihrem Ball nächste Woche Donnerstag teilzunehmen. Wir sollen mindestens fünfhundert Worte darüber schreiben und ihr natürlich den Artikel zeigen, bevor er in Druck geht.«
»Gute Idee!«, rief Gutenhügel über die Schulter hinweg. »Bei Bällen sind viele Personen zugegen, und…«
»… Namen verkaufen Zeitungen«, sagte William. »Ja, ich weiß. Möchtest du hingehen?«
»Ich?«, erwiderte Sacharissa. »Ich habe doch gar nichts anzuziehen! Ein angemessenes Kleid würde mich mindestens vierzig Dollar kosten, und wir können es uns nicht leisten, so viel Geld zu vergeuden.«
William zögerte. »Bitte steh auf und dreh dich im Kreis«, sagte er dann.
Sacharissa errötete. »Warum?«
»Ich möchte feststellen, welche Größe du hast, ganz allgemein.« Die junge Frau stand auf und drehte sich nervös. Ron und seine Gefährten pfiffen. Außerdem ergaben sich einige unübersetzbare Kommentare auf Zwergisch.
»Es könnte klappen«, sagte William. »Wenn ich dir ein wirklich gutes Kleid besorge… Kennst du jemanden, der es ändern kann? Vielleicht muss es ein wenig weiter gemacht werden, zum Beispiel, äh, oben, du weißt schon…«
»Von was für einer Art von Kleid sprichst du?«, fragte Sacharissa misstrauisch.
»Meine Schwester hat Hunderte von Abendkleidern und verbringt ihre ganze Zeit auf unserem Landsitz«, erklärte William. »In letzter Zeit kommt die Familie nie in die Stadt zurück. Heute Abend gebe ich dir den Schlüssel des Stadthauses, dann kannst du dir ein Kleid aussuchen.«
»Hat deine Schwester nichts dagegen?«
»Vermutlich merkt sie überhaupt nichts davon. Außerdem würde es sie sicher schockieren zu erfahren, dass jemand nur vierzig Dollar für ein Kleid ausgibt.«
»Stadthaus? Landsitz?«, wiederholte Sacharissa und offenbarte damit die unangenehme journalistische Eigenschaft, genau jene Worte auszuwählen, von denen man hoffte, dass sie unbemerkt blieben.
»Meine Familie ist ziemlich reich«, sagte William. »Ich bin es nicht.«
Als er nach draußen trat, sah er zum Dach auf der anderen Straßenseite, weil sich dort etwas verändert zu haben schien. Vor dem Hintergrund des Nachmittaghimmels zeichnete sich ein spitzer Kopf ab.
Ein Wasserspeier. William hatte sich daran gewöhnt, sie überall in der Stadt zu sehen. Manchmal rührten sie sich über Monate hinweg nicht von der Stelle. Man bekam nur selten die Chance zu beobachten, wie sie von einem Dach zum anderen wechselten. Und noch seltener geschah es, dass sie sich in einem solchen Viertel zeigten. Wasserspeier bevorzugten hohe Steingebäude mit vielen Dachrinnen und einer kniffligen Architektur, die Tauben anlockte. Selbst Wasserspeier brauchten Nahrung.
Etwas weiter die Straße
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