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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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hätte. Sie saß
einfach stumm und unglücklich da und hörte kaum hin, wenn ihr Begleiter eine
von seinen kurzen, sie nur störenden Bemerkungen fallen ließ. Sie saß da wie
ein willenloses Medium oder wie eine Halbtote; ihr Gesicht war so erschreckend
leer und stumpf, daß der junge Mann einen Schreck bekam und von der Hauptstraße
nach Auxerre abbog, um eine Tasse Tee ihre bewährte Wirkung tun zu lassen.
    Der junge Mann hegte nämlich ein
unerschütterliches Vertrauen zu Tee, wenn es sich um Frauen handelte — seine
eigene Mutter, Witwe und Oberhaupt einer zahlreichen Familie, wurde regelmäßig
fünfmal am Tag von diesem Mittel belebt, wenn nicht gar am Leben gehalten. Die
Idee war also nicht schlecht — sie war aber doch ungünstig, dieses Mal vom
Standpunkt des jungen Mannes aus gesehen: Sir Williams Wagen befand sich nur
noch etwa dreißig Kilometer hinter seinem Citroën. In weniger als einer Stunde
wäre er überholt worden, und die Verantwortung des jungen Mannes hatte damit
ihr bewillkommnetes Ende gefunden — wenn er sich auf der Hauptstraße gehalten
hätte. Aber er bog in den Seitenweg ein, und Sir William fuhr vorbei. Die
Gelegenheit war verpaßt.
    Vor dem Café de la République trank
Julia schweigend ihren Tee. Er tat ihr wirklich gut; er befähigte sie, ihre
unmittelbare Umgebung, wenn auch nicht zu erfassen, so doch wenigstens zu
sehen. Der Ausblick war sehr malerisch und einst — wie der junge Mann zu
erzählen wußte — Gegenstand der Bewunderung des englischen Dichters Walter
Pater gewesen. Etwas in der Stimme des Berichtenden veranlaßte Julia, sich mehr
für ihn als für den Horizont zu interessieren. Und ihr wurde zum ersten Male
bewußt, wie sehr besorgt und beunruhigt er war.
    „Sagen Sie mal“, stotterte er. Er ließ
seine klassischen Reminiszenzen fahren, um das vielleicht nur kurze Aufflackern
einer Intelligenz, das er in ihren Augen entdeckt hatte, auszunutzen. „Sagen
Sie mal— es tut mir schrecklich leid...“
    „Ich weiß schon“, sagte Julia müde. „Ich
bin Ihnen eine gottverfluchte Last.“
    Der junge Mann wurde feuerrot. „Aber
nicht im geringsten! Ich hasse es, allein zu fahren. Bloß — also die Tatsache
ist— ich bin jetzt am Ende meiner Reise und furchtbar knapp. Das heißt — ich
meine, ich habe gerade genug übrig, um nach Paris zu kommen — Benzin, Essen und
so. Ich meine, für einen ist ja noch genug da, aber verstehen Sie...“
    „Ja, ja“, sagte Julia. „Ich verstehe. Sie
sind wirklich rührend gewesen, mich so weit mitzunehmen. Es macht gar nichts“ — sie suchte in ihrem stumpfen Gehirn
nach ein er glaubwürdigen
Geschichte — „ich hab’ Freunde hier in der Nähe. Sommergäste. Sie brauchen sich
keine Sorgen zu machen!“
    Der junge Mann schien nicht überzeugt.
Er starrte vor sich hin, runzelte die Stirn und sagte zögernd: „Es ist
vielleicht unverschämt von mir, aber warum gehen Sie nicht zu einem Konsul? Der
nächste sitzt zwar in Paris, aber wir könnten ja von einem Hotel aus telefonieren.“
    Julia reichte über den Tisch, nahm eine
Zigarette aus dem Packen von dem jungen Mann und ließ sich von ihm Feuer geben.
Zum Konsul gehen war für ihre Begriffe nicht viel anders als zum Armenasyl
gehen — beides bedeutete, daß man so herunter war, daß man öffentliche
Unterstützung annehmen mußte. Also gut, dachte Julia, dann muß das eben sein.
Irgendwie muß ich ja nach London kommen!
    „Das kommt alle Tage vor“, sagte der
junge Mann mit etwas ungeschicktem Takt, „daß Leute so nach Haus geschickt werden.
Ein Freund blieb voriges Jahr in Genua hängen. Ein anderer Freund in Paris. Ich
habe selbst eine gute Zehn-zu-eins-Chance, hängenzubleiben.“
    „Schön“, sagte Julia. „Fahren Sie ruhig
los, ich werde mich gleich mit dem Konsul in Verbindung setzen.“
    „Ich werde Ihnen dabei helfen.“
    „Lassen Sie nur“, sagte Julia mit ihrem
alten Lächeln. „Allein kann ich besser auf .Unverschuldet ins Unglück geraten*
machen.“
    Der junge Mann erhob sich, kramte in
seiner Tasche und holte ein paar zerknitterte Zehnfrancsscheine hervor.
    „Wenn Sie auch nur ein einziges von den
Dingern hier lassen“, sagte Julia „dann — dann steige ich wieder in Ihren
Wagen!“
    Um ihm den Abschied zu erleichtern, gab
sie vor, mit Lippenstift und Puderquaste sehr beschäftigt zu sein. Als sie
wieder hochblickte, war sie allein.
     
    *
     
    Wie die Mutter von dem jungen Mann, wie
jede normale englische Frau verspürten die beiden

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