Die vollkommene Lady
an den Beinen mit
Verkehrspolizisten und ähnlichen scherzhaften Figuren bestickt. Und auf dem
Bahnsteig des Victoria-Bahnhofs kaufte sie seit Jahren zum ersten Male wieder
ein Buch.
Es war die „Forsyte Saga“, und Julia
wählte es teils deshalb, weil es für den Preis sehr umfangreich zu sein schien,
und teils, weil sie von Galsworthy des öfteren als von einem guten Autor hatte
sprechen hören. Sie nahm an, es sei genau die Art Buch, wie Susan ihre Mutter
es gern lesen sehen würde; und Julias mütterliche Neigung war so stark (wenn
auch erwiesenermaßen unbeständig), daß sie zwischen London und Dover drei ganze
Kapitel auslas.
*
Damen, die allein reisen, sprechen
nicht mit fremden Leuten. Daher dankte Julia sowohl dem Marineoffizier, der ihr
über die Laufbrücke half, als auch dem Geschäftsreisenden, der ihren Liegestuhl
aufstellte, nur mit einem flüchtigen Kopfnicken. Es fiel ihr nicht schwer,
einen einsamen Platz zu finden, denn es waren nur wenige Reisende auf dem Schiff;
und mit ihrem Mantel über den Knien und der geöffneten „Saga“ auf ihrem Schoß
machte sie sich’s bequem, um sich weiter in die Literatur zu vertiefen.
Eine Lehrerin in einem Gummimantel, die
nach einer geschützten Stelle Ausschau hielt, kam auf sie zu und blieb stehen.
„Glauben Sie, daß man hier vor dem Wind
sicher ist?“ erkundigte sie sich.
Julia nickte.
„Ich glaube nämlich“, sagte die
Lehrerin, wiewohl etwas förmlicher, „daß wir einen Sturm haben werden.“
Julia nickte wieder. Die Lehrerin ging
weiter. Julia las darauf, mit einer kurzen Unterbrechung, während der sie
zusah, wie ein Tourenauto an einem Kran an Bord schwebte, in einem Zuge drei
Kapitel von dem „Man of Property“. Wenn sie die Lektüre auch etwas anstrengend
fand, so hatte sie in diesem Fall nichts daran auszusetzen, denn es bestätigte
ihre Meinung, daß sie ein wirklich gutes Buch läse; und dann konnte es
unmöglich eine echtere Dame geben als seine Heldin. So viel Sex Appeal zu
besitzen und gar kein Vergnügen davon zu haben — konnte etwas damenhafter sein?
So las, so sann Julia, selbst eine Dame, wie jedermann sehen konnte, und hob
zwischen zwei Absätzen kaum ihre Augen.
Sie konnte jedoch nicht umhin, eine
bestimmte Gruppe von fünf Männern und einer Frau zu bemerken, die ihrem Stuhl
direkt gegenüber am Geländer lehnte. Es war das Verhältnis der beiden
Geschlechter, das ihre Aufmerksamkeit anzog. Fünf Männer und eine einzige Frau!
Julia blickte wieder zu ihr hinüber und vermochte nichts zu entdecken, was
diesen seltenen Vorzug rechtfertigte. Sie war klein, kurzbeinig und gedrungen
und mindestens fünfzig Jahre alt; mit Haaren von so auffallendem Gold und
Lippen von so auffallendem Rot und einer so dicken blaßlila Puderschicht auf
ihrer Nase, daß sie, obzwar sie ganz in Schwarz gekleidet war, nur allzu
lebhaft an einen Papagei erinnerte. Julia hatte wirklich Grund, ihre Brauen
hochzuziehen; aber bevor sie zu ihrem Buch zurückkehrte, warf sie noch einen
Blick auf die fünf Männer. Sie waren alle verschieden groß, von sehr groß bis
sehr klein, aber alle hatten sie die gleichen breiten Schultern, geraden Rücken
und schmalen Hüften; ihre Gesichter wiesen sogar eine gewisse
Familienähnlichkeit auf, wiewohl der größte, der mit Fred angeredet wurde, auch
bei weitem am besten aussah. Er war einer der bestaussehenden Männer, die Julia
je begegnet waren.
Wahrscheinlich Theaterleute, dachte
sie, und in derselben Sekunde traf sie ein Blick aus Freds Augen. Sie waren
hellbraun und voll unverhohlener Bewunderung — gerade die Sorte Augen, für die
Julia etwas übrig hatte. Aber sie reagierte nicht darauf. So etwas kommt jetzt
nicht in Frage, rief sie sich selbst zur Ordnung und stürzte sich unverdrossen
in das achte Kapitel.
Die Literatur hielt Julias
Aufmerksamkeit noch immer in ihrem zweifelhaften Bann, als das Schilf, das sich
bisher auf eine vernünftige und geziemende Weise benommen hatte, die stärker
werdende Bewegung der See zu fühlen und zu übermitteln begann. Die kurzen
heimtückischen Wellen des Kanals machten ihrem Ruf alle Ehre, und mehr als ein
Passagier stolperte hastig vorüber, um unten den Kampf mit ihnen aufzunehmen.
Außer vieler anderer nützlicher Eigenschaften durfte sich Julia auch rühmen,
ein bewährter Seefahrer zu sein, und sie empfand so wenig Unbehagen, daß sie
beschloß, ein bißchen spazierenzugehen. Ihre Füße waren kalt, und das leere
Deck bot genügend Raum für schnelle
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