Commander Scott 09 - Der Psi-Spion
Ihre bleischweren Stiefel verursachten auf dem elastischen Bodenbelag des Korridors keinen Laut, und dieser Umstand ließ die Ruhe, die in der Asteroidenklinik herrschte, noch unheimlicher erscheinen. Es gab keine Bilder oder Fotos an den Wänden und keine Grünpflanzen, nur Türen, eine neben der anderen, in mattgrüner trostloser Reihenfolge. Die Atmosphäre der Abgeschiedenheit erregte in Scott intensives Unbehagen.
Die MORDAIN lag auf der Oberfläche des Asteroiden in einem Magnetfeld verankert. Betrachtete man den Himmelskörper vom Raumschiff aus, zeugte nur ein schimmerndes Netz von Antennen davon, daß sich Menschen darin eingegraben hatten.
Scott spürte, wie das Gewicht der Bleisohlen unter seinen Stiefeln beständig zunahm; offenbar näherten sie sich dem Schwerkraftzentrum des Asteroiden. Leise, kaum wahrnehmbare Vibration entfernter Maschinerie durchlief den Korridor. »Vielleicht bin ich zu sehr Amateurpsychologe, um das beurteilen zu können, Professor«, bemerkte Scott und brach das bedrückende Schweigen, »aber ich war immer der Meinung, daß psychisch Erkrankten eine... nun, eine etwas freundlichere Umgebung besser bekommt. Freier Himmel, frische Luft. Lange Spaziergänge. Gärten und kleine Tiere, die das Gemüt aufheitern. Sie wissen ja.« Professor Wellington, Direktor der psychiatrischen Asteroidenklinik, blieb nicht stehen und wandte nur halb den Kopf. Scott musterte das Profil des kahlen, dunkelbraunen Schädels; Wellington war nicht unbedingt schwarz, aber ganz sicher teilweise afrikanischer Abstammung. Die dunkle Schädelwölbung war mit hellen Altersflecken übersät.
»Grundsätzlich haben Sie recht«, antwortete der Professor. Seine Baßstimme besaß einen angenehmen, beruhigenden Klang. »Für die meisten psychischen Störungen - vor allem solche, die durch streßbedingt sind - reicht die konventionelle Therapie aus. Unsere Klinik allerdings ist auf extreme Isolierfälle spezialisiert. Beispielsweise ausgeprägte paranoide Symptomatik und schwere Neurosen.«
Scott überlegte. Gewiß, eine Periode weitgehender Isolation vermochte, wenn sonst nichts mehr half, den menschlichen Verstand von der Nichtexistenz eingebildeter Dinge zu überzeugen, vorausgesetzt, der Patient war rational zugänglich. Aber bei Neurosen? Und wenn tatsächlich Isolation erforderlich war, warum gerade auf einem Asteroiden? Scott neigte zu der Auffassung, daß diese Klinik mehr so etwas wie ein Verbannungsort war, wohin wohlhabende Leute psychisch erkrankte Verwandte abschoben, weil sie ihnen auf die Nerven fielen. Seine Informationen besagten jedoch, daß die Asteroidenklinik die uneingeschränkte Anerkennung und Förderung der solaren Gesundheitsorganisation genoß. »Aber in allen Psychiatrien des Solsystems gibt es doch Isolierabteilungen«, sagte er, inzwischen wirklich interessiert. »Was spricht für eine Klinik im Weltraum?«
Professor Wellington seufzte. »Also... aus prinzipiellen Erwägungen plaudere ich nur ungern über Krankengeschichten...« Er zögerte und räusperte sich. »Wir haben da gegenwärtig eine Patientin, bei der es sich um eine sogenannte Nucklerin handelt. Eine sehr schlimme Neurose. Vor ihrer Einlieferung trank sie täglich bis zu vierzig Liter Wasser. Angehörige und Ärzte mögen sorgfältig vorsorgen, aber ein Mensch, den es suchtmäßig danach verlangt, findet überall tausenderlei Möglichkeiten, an Wasser zu gelangen. Hier nicht. Hier ist Wasser knapp. Keine Hähne, keine Duschen, keine Wannen.«
Scott stutzte und öffnete den Mund. aber bevor er seine Frage nach den hygienischen Konsequenzen aussprach, fiel ihm die Antwort ein. Auch auf vielen Raumschiffen war es üblich. sich mit imprägnierten Tüchern zu reinigen; nur sehr große und teure Typen verfügten über eine RecyclingAnlage, hauptsächlich Passagierschiffe. Er vermutete, daß chemische Hindernisse gegen die Installierung einer Recycling-Anlage standen. Anscheinend existierte keine Anlage dieser Art, die mit der Vielfalt psychopharmazeutischer Rückstände, wie sie in der Klinik anfiel, fertig werden konnte. Wahrscheinlich ließ man jeden Liter Wasser von der Erde kommen, und das war kostspielig.
Sie erreichten eine breite Flügeltür. Wellington drückte einen Knopf, und die Tür klaffte knarrend auseinander. Erstmals sah Scott, als er ihn einholte, den Professor lächeln. »Bitte.«
Scott tat zwei Schritte in den Saal hinein, vergaß das mittlerweile sehr lästige Gewicht seiner Stiefel und verharrte in
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