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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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obenherum gefallen wird.
Das heißt, obenherum gibt’s dabei gar nicht — nicht einmal Schulterbänder. Es
ist nicht geradezu unanständig, aber vielleicht ein bißchen — ausgelassen. Aber
ich kann meinen Spitzenschal benutzen; der war mal weiß.“
    „Und welche Farbe hat er jetzt?“ fragte
Sir William.
    „Ecru. Ich borgte ihn Louise einmal,
und die geriet, wie immer, in eine etwas wilde Gesellschaft, und jemand goß ihr
Kaffee über den Schal. Und dann brauten wir uns eine ganze Waschschüssel voll
und ließen ihn darin ziehen, und er wurde herrlich. Und dann vergoß Louise die
ganze Schüssel über ihr Abendkleid.“
    „Hans im Glück, in umgekehrter
Reihenfolge“, meinte Sir William, der fasziniert zuhörte. „Und dann habt ihr
die Badewanne voll Kaffee —“
    „Nein, das taten wir nicht. Louise warf
nur die Schüssel gegen die Wand. Das war nämlich gerade, nachdem sie psychoanalysiert
worden war, und sie hatte Angst, irgendwelche Repressionen bei sich zu
entwickeln. Soweit ich das beurteilen konnte, hätte sie mit einer Repression
sowieso nichts anfangen können. Aber sie sagte: Doch, und wenn sie es nur
früher geahnt hätte, dann wäre im ganzen Café Royal kein einziger Teller mehr
heil.“
    Julia sah Sir William beruhigend an. „Sie
ist nicht wild, weißt du; sie hat nur rote Haare.“
    „ Nach deiner Beschreibung muß sie ein
ungewöhnlich netter Kerl sein“, sagte Sir William. „Ich will nicht behaupten,
daß ich traurig bin, sie heute abend nicht mit dabei haben z;u können, denn ich
möchte mit dir allein sein. Aber wenn wir wieder in London sind, mußt du sie
unbedingt gleich einladen.“
    Julia sah ihn strahlend an. „Du weißt
nicht, wie nett ich das von dir finde, William. Ich will sie nämlich nicht
fallenlassen, und ich würde sie sehr ungern hinter deinem Rücken besuchen und
einladen — das heißt, das würde ich ja nie tun, ich hab mir versprochen,
niemand zu kennen, den du nicht magst. Du wirst dich niemals meiner Freunde zu
schämen brauchen, William— bestimmt nicht!“
    „Ich weiß das, meine Liebe“, sagte Sir
William.
    Er war ganz aufrichtig, wenn er das
sagte. Er war überzeugt, daß seine Heirat mit Julia ihn mit vielen sehr
merkwürdigen Menschen in Berührung bringen würde; aber er war gleichfalls davon
überzeugt, daß er sich auf ihren Geschmack und ihre gute Menschenkenntnis
verlassen konnte. Ihre Freunde mochten wohl, wie sie sagte, „merkwürdig“ sein,
aber sie würden, ebenfalls in ihren Worten, auch „gute Kerle“ sein. Ihre
Gesellschaft würde höchstwahrscheinlich sehr unterhaltsam sein, und Julia war
zu klug, um zuzulassen, daß sie ihn belästigten oder ausnutzten. Viel eher
befürchtete er, daß sie, gewohnheitsgemäß, ins andere Extrem verfallen könnte
und sich darauf versteifte, Wohltätigkeitstees zu veranstalten. Nun, er würde
aber nichts dagegen sagen. Sir William war der Meinung, daß selbst eine
wohlanständige Julia immer noch genug Fröhlichkeit und Farbe besitzen würde, um
sogar einem solchen Tee seinen Schrecken zu nehmen...
    „Du würdest eine großartige, wenn auch
etwas kulturbeleckte Zigeunerprinzessin abgeben“, sagte er plötzlich, und
überlegte sich im selben Augenblick, ob wohl einer von seinen Bekannten je
gedacht hätte, daß Sir William diese Worte zu der zukünftigen Lady Waring
äußern würde.
    „Nicht einer!“ rief Julia, als er ihr
erklärt hatte, warum er lachte. Dann ging ihr der Sinn der Worte erst auf, und
sie versuchte, würdig und beleidigt auszusehen. „Auch dann nicht, wenn sie mich
kennengelernt haben. Ich werde die vollkommene Lady sein!“
    Sir William beugte sich hinunter und
küßte sie. „Und wenn ich das nun nicht will?“
    „Ob du willst oder nicht“, sagte Julia
bestimmt.
    Fünf Minuten darauf wurde sie wieder
geküßt, diesmal aber von Fred Genocchio.
     
    *
     
    Julia war allein nach Hause gegangen,
da sie noch nachsehen wollte, ob das Taftkleid aufgebügelt werden mußte, und
begegnete auf der oberen Terrasse Anthelmine und der Frau aus dem
Pförtnerhäuschen, die sie anscheinend schon gesucht hatten. Die Frau hielt eine
Visitenkarte in der Hand, die Anthelmine ihr bei Julias Anblick entriß, um sie
mit einer gehaltvollen Geste zu präsentieren.
    Auf der Karte stand: Fred Genocchio.
    Einen Augenblick stand Julia
unbeweglich. Die beiden Worte beschworen die widersprechendsten Gedanken,
Erinnerungen und Gefühle in ihr herauf. Zuerst verspürte sie nur ein großes
Erstaunen, das aber schon

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