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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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anzustarren – mal neugierig, mal misstrauisch, mal mitleidig. Er konnte in ihren Gesichtern lesen, was sie über ihn dachten – ein abgewiesener Freier, ein Bittsteller, ein Schuldner, ein Spion. Rashid trommelte nervös mit den Fingern gegen den rauen Putz der Mauer. Das Pflaster der Straße schien unter seinen Füßen zu brennen. Wo blieb nur dieser verdammte Torwächter!
    Endlich, als er schon überlegte, ob es nicht besser wäre, wieder den Weg über die Mauer und den Innenhof zu wählen, um in das Haus des Kaufmannes zu gelangen, öffnete sich die Tür.
    »Herr, Ihr dürft …« Mahmud streckte seinen grauhaarigen Kopf vor und sah sich suchend um. Er hatte Ähnlichkeit mit einer Schildkröte. »Wo …«
    »Na endlich!« Rashid stieß sich erleichtert von der Mauer ab. »Ist dein Herr bereit, mich zu empfangen?«
    »Ja, Herr. Folgt mir. Er erwartet Euch im Empfangszimmer .«
    Sie durchquerten die kleine geschmackvolle Halle. Ein dreibeiniges Kohlebecken aus Messing sorgte für Wärme, und in der Mitte stand ein Wasserbecken, in dem Rosenblüten und Talglichter schwammen. Warum hatte er nicht hier warten dürfen, sondern draußen auf der Straße bleiben müssen wie ein streunender Hund? Erneut wurde ihm heiß. Allerdings ging dieses Mal die Hitze von seiner Magengrube aus. Rashid biss die Zähne zusammen und atmete so ruhig und gleichmäßig wie möglich. Er wollte nicht die Beherrschung verlieren. Nicht hier, nicht im Haus von Annes Cousin. Also folgte er Mahmud quer durch die Halle, während er die Namen aller Kameraden aufzählte, die ihm gerade einfielen. Diese Maßnahme hatte ihm schon oft dabei geholfen, ruhig zu bleiben.
    Vor der Tür zum Empfangszimmer stieß Mahmud beinahe mit einer Frau zusammen, die auf einem großen Messingtablett Gläser, einen Teller mit Nüssen und getrockneten Früchten und eine große Teekanne aus Kupfer trug.
    »Pass doch auf, du nichtsnutziger Trottel«, zischte sie dem Torwächter wütend zu, während sie versuchte das Gleichgewicht zu halten. Dabei bedachte sie Rashid mit einem geringschätzigen , fast zornigen Blick. War sie wütend, weil sie wegen seines späten Besuches noch Tee hatte bringen müssen? Oder hatte ihr zorniger Blick einen anderen Hintergrund? Verachtete und hasste sie ihn, weil er kein Christ war? Dass sie selbst eine bekennende Christin war, war deutlich an dem großen Kreuz zu sehen, das an einer langen, schweren Goldkette hing und auf ihrem gewaltigen Busen ruhte. Das Kreuz war mit violetten Steinen ausgelegt. Vielleicht war es gefärbtes Glas, obwohl Rashid es nicht glaubte. Die Steine sahen echt aus. Und damit war das Kreuz gewiss wertvoller, als es einer Dienerin zustand. Doch das bereitete Rashid kein Kopfzerbrechen . Da sie das Kreuz so offen trug, war es bestimmt kein Diebesgut, sondern eher das Geschenk eines zufriedenen Herrn zur Belohnung für treue Dienste. Nein, was ihm wirklich zu denken gab, war die Lücke in der Mitte des Kreuzes. Eine Lücke, in die eigentlich ein weiterer violetter Stein gehörte . Etwas begann sich in seinem Gehirn zu regen wie ein Jagdhund, der im Schlaf eine Witterung aufgenommen hatte . Unterdessen schimpfte die Frau unverdrossen weiter mit Mahmud.
    »Hast du keine Augen im Kopf, du alter Narr? Du tauber Dummkopf, du blinder Einfaltspinsel!«
    Mahmud erwiderte nichts. Die Worte der Frau schienen an seinem gebeugten Rücken und seinen hängenden Schultern hinabzurinnen wie ein Regenschauer. Dass Rashid direkt hinter ihnen stand und wartete, schien keinen der beiden zu stören . Erst als der Strom der Schimpfworte aus dem Mund der Frau versiegt war, klopfte Mahmud an die Tür und öffnete sie. Die Frau drängte sich mit ihrem Tablett vor Rashid in das im arabischen Stil mit Teppichen, niedrigen Tischen und Sitzpolstern eingerichtete Zimmer. Eine weitere grobe Unhöflichkeit, für die Mahmud sich nicht einmal mit einem Blick bei Rashid entschuldigte. Offenbar hatte Annes Cousin keine glückliche Hand bei der Wahl seiner Diener. Oder in seiner Heimat hatte die Gastfreundschaft einen anderen Stellenwert. Aber das war nicht sein Problem. Rashid beobachtete die Frau.
    Sie war klein und dick. Sie reichte ihm höchstens bis zur Schulter, und trotzdem hätte er sich mindestens zweimal in ihr Kleid wickeln können. Ihr mächtiges Hinterteil wackelte beim Gehen von einer Seite zur anderen, sodass ihr langes Kleid hin und her schwang wie eine riesige Glocke. Es war eine derart eigentümliche , unverwechselbare Bewegung, dass er

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