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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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sich sicher war. Diese Frau hatte er in der vergangenen Nacht bei der Heimkehr beobachtet. Aber woher war sie gekommen? Und weshalb hatte sie so heimlich getan? Rashid ließ sie nicht aus den Augen. Sie drehte ihm jetzt die Seite zu, während sie behäbig das Tablett auf einem der niedrigen Tische abstellte. In diesem kurzen Augenblick, wie sie leicht vornübergebeugt vor dem Tisch stand, sah sie aus wie eine riesige fette Kröte. Diese Haltung erinnerte Rashid an etwas anderes. Aber woran? Es kam ihm vor, als ob er diese Frau schon einmal gesehen hatte. Nicht nur gestern, sondern bereits früher. In Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch. War sie ihm wegen ihrer Fettleibigkeit auf der Straße aufgefallen? Oder auf dem Markt oder dem Basar? Er schloss die Augen und versuchte sich die Begegnung vorzustellen. Nein. Wo auch immer er sie schon einmal gesehen hatte, es war bereits dunkel gewesen wie in der Nacht. Und dann erinnerte er sich. Es war in jener Nacht gewesen, als er auf einem Rundgang einen Schatten gesehen hatte. In Gedanken sah er wieder den Schatten vor sich, diesen seltsamen behäbigen breiten Schatten, wie er über die nur spärlich beleuchtete Straße gehuscht war – oder weniger gehuscht, vielmehr gewatschelt wie eine Kröte. Wie diese Frau, die Frau, die er auch gestern mitten in der Nacht vor dem Stalltor gesehen hatte. Sie musste es gewesen sein. Aber wie wollte er beweisen, dass sie sich auch in jener Nacht in dem Durchgang versteckt hatte?
    Als Rashid eine Möglichkeit einfiel, hätte er sich am liebsten selbst für seine Dummheit geohrfeigt. Warum nur war er nicht eher darauf gekommen? Der Amethyst! Der Stein, den er in jener Nacht auf der Straße vor dem Durchgang gefunden hatte. Er war sicher, dass dieser Stein in die Lücke des Kreuzes passte.
    Cosimo sah sich im Empfangszimmer um. Die Lampen waren angezündet und verbreiteten ein behagliches Licht, die Sitzpolster lagen so bereit, dass sie den geeigneten Rahmen für ein vertrauliches Gespräch boten. Anselmo hatte es sich bereits bequem gemacht. Lässig hatte er sich auf zweien der Polster ausgestreckt und schob missmutig mit der Spitze seiner Pantoffeln die Fransen eines Teppichs zur Seite. Die Regeln der Höflichkeit waren Anselmo durchaus geläufig. Er hatte mittlerweile derart vollendete Manieren, dass ihn viele Vornehme in Italien für einen Edelmann aus bestem Hause hielten. Doch hier in Jerusalem fühlte er sich an Höflichkeit und Anstand nicht gebunden. Er war weder freiwillig noch gern in dieser Stadt, und das sollte jeder wissen. Cosimo unterdrückte ein Lächeln. Manchmal war Anselmo trotzig wie ein Junge, ungeachtet seines wahren Alters.
    Cosimos Blick glitt weiter zu Anne. Ein wenig verloren stand sie in der Mitte des Raumes. Ihr Gesicht war blass und angespannt, und sie rieb ihre Hände, als wollte sie sich mit einem unsichtbaren Stück Seife waschen. Den ganzen Tag schon war sie seltsam unruhig und geistesabwesend gewesen. Sie machte sich Sorgen. Warum? Hatte der blonde Janitschar ihr versprochen, eher wiederzukommen? Und wenn ja, warum hatte er sein Versprechen nicht gehalten? War er daran gehindert worden, oder spielte er einfach nur mit Annes Gefühlen? Cosimo runzelte unwillig die Stirn. Anne war eine bemerkenswerte Frau. Er würde es nicht dulden, dass jemand ihr ein Leid zufügte.
    Endlich klopfte es, und Mahmud öffnete die Tür. Doch nicht der Janitschar war der Erste, der den Raum betrat, sondern Elisabeth. Die Köchin schob die Tür mit dem Messingtablett auf und marschierte zu ihnen herein wie ein wütendes Streitross. Cosimo schloss die Augen und biss die Zähne zusammen . Er hatte es allmählich satt, dass er sich immer wieder wegen Elisabeths Unhöflichkeit schämen musste. Zum wiederholten Mal kämpfte er mit sich, sie einfach aus seinem Dienst zu entlassen. Am besten jetzt sofort, dachte er, denn morgen tischt sie wieder ein exzellentes Mahl auf und verhält sich so ausgesucht höflich, dass du ihre Launen und schlechten Manieren darüber vergisst. Dann fiel ihm auf, dass er nicht der Einzige war, dessen Aufmerksamkeit auf Elisabeth gerichtet war. Der blonde Janitschar stand wie angewurzelt in der Tür und starrte die Köchin an, die ihm den Rücken zuwandte. Seine klaren blauen Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen wie eine jagdlustige Katze ein Wollknäuel. Was sollte das nun wieder? Nur wenige Schritte von Elisabeth entfernt stand Anne, aber er schien sie nicht einmal zu bemerken. Hatte er vielleicht

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