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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Mauer nehmen? Rashid entschied sich für die zweite Möglichkeit.
    Er bog in die schmale Gasse ab, an der das Haus des Bäckers lag, erklomm die Mauer und lief zu den Getreidesäcken, die freundlicherweise so vor der Kasernenmauer aufgestapelt waren, dass man sie wie eine Leiter benutzen konnte. Mühelos kletterte er an ihnen hoch, schwang sich über die Mauer und ließ sich in den Strohhaufen auf der anderen Seite fallen. Jemand musste im Laufe der vergangenen Tage das Stroh umgelagert haben, denn es war so weich, dass er förmlich darin versank . Keuchend vor Anstrengung blieb er eine Weile auf dem Rücken liegen und betrachtete den Sternenhimmel, der sich klar und leuchtend über ihm ausbreitete wie ein riesiger Baldachin . Waren die Sterne schon immer so schön gewesen, so unvergleichlich ? Allahs Schöpfung war voller Wunder, voller Schönheit. Aber das größte aller Wunder und Geheimnisse war ohne Zweifel die Liebe.
    Rashid wollte sich gerade wieder aus dem Strohhaufen befreien, um sich in seinen Schlafsaal zu schleichen, als er Schritte hörte, die sich ihm näherten. Es waren schwere Schritte von zwei Paar Stiefeln. Und dann hörte er auch Stimmen . Um nicht entdeckt zu werden, duckte er sich tiefer ins Stroh.
    »So, mein Freund, hier sind wir ungestört.« Rashid zuckte unwillkürlich zusammen, als er die Stimme hörte. Er hätte sie wohl unter Tausenden wiedererkannt. Es war Ibrahim, ausgerechnet der Mann, von dem er in diesem Moment am weitesten entfernt sein sollte. Rashid hoffte und betete inständig, dass Ibrahim mit seinem Freund weitergehen würde, doch im Gegenteil. Die beiden blieben nicht nur stehen, sie ließen sich auch noch auf dem Strohhaufen nieder, als fänden sie es dort so bequem, dass sie diesen Ort nicht so schnell wieder verlassen würden. Rashid biss sich auf die Lippe. Die beiden waren ihm jetzt verdammt nah. Er hätte nur seine Hand ausstrecken müssen, um sie einem der Männer auf die Schulter zu legen. Wenn sie sich nur ein bisschen mehr bewegten, würden sie ihn ohne Zweifel entdecken.
    »Die Inspektion hat nichts ergeben? Keinen Hinweis auf eine Verbindung eines unserer Männer zu diesem christlichen Prediger?« Die tiefe, raue Stimme gehörte Omar.
    Ibrahim schnaubte verächtlich. »Natürlich nicht. Wir haben keinen Verräter in unseren Reihen. Aber«, er hob die Schultern, seine Stimme klang zornig, »der edle Herr war ja überzeugt davon, dass man uns nicht trauen kann.«
    Omar schüttelte verständnislos den Kopf. »Wir haben dem Sultan die Treue geschworen«, sagte er. »Özdemir müsste doch wissen, dass wir nichts tun würden, was den Befehlen oder Wünschen des Sultans widerspricht.«
    »Ja, das müsste er wissen. Aber ich habe in den vergangenen Tagen nachgedacht. Vielleicht ist es gerade unsere Treue zu Suleiman, die Özdemir missfällt.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nun«, Ibrahim schnalzte mit der Zunge, »vielleicht ist es Özdemir gar nicht recht, dass wir uns in erster Linie an Suleimans Wünsche und Befehle gebunden fühlen.«
    »Erkläre dich genauer, Ibrahim.«
    »Nehmen wir einmal an, Özdemir hätte eigene Pläne mit dieser Stadt, Pläne, die denen des Sultans widersprechen. Bei ihrer Durchführung könnte er wohl kaum mit der Unterstützung der Janitscharen rechnen.« Er senkte die Stimme. »Saadi, Özdemirs Schwiegersohn, beschäftigt sich zur Zeit ausgiebig mit den Schriften und Gesetzen, welche die Janitscharen betreffen . Es heißt, dass Özdemir nach geeigneten Mitteln und Wegen sucht, den Einflussbereich der Janitscharen auf – sagen wir mal – gesetzlichem Wege einzuschränken.«
    »Woher weißt du das?«
    Unbeweglich lauschte Rashid. Die Strohhalme begannen auf seiner verschwitzten Haut zu stechen und zu jucken, doch er rührte sich nicht. Er wagte nicht einmal zu atmen aus Angst, ihm könne auch nur ein Wort entgehen.
    »Einer von Özdemirs Schreibern, ein aufrichtiger Mann, der mir hin und wieder einen Gefallen erweist, hat mir davon berichtet.«
    Die beiden Männer schwiegen. Anscheinend brauchte Omar Zeit, um diese Nachrichten zu verkraften. Auch Rashid konnte kaum glauben, was er soeben gehört hatte. Ibrahim hielt sich Spione im Haus des Statthalters! Viel Schlechtes hätte er dem Meister der Suppenschüssel zugetraut – Jähzorn, Ungerechtigkeit, unangemessene Brutalität gegenüber den Untergebenen , Willkür –, aber das? Das grenzte an Verrat!
    »Suleiman vertraut Özdemir«, fuhr Ibrahim ungerührt fort, und Rashid gefiel die Art nicht,

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