Cynster 07 - Nur mit deinen Kuessen
1
LONDON, AUGUST 1820
»Guten Morgen, Mylord. Ihr Onkel ist soeben eingetroffen. Er wartet in der Bibliothek auf Sie.«
Gyles Frederick Rawlings, der fünfte Graf Chillingworth, war gerade dabei, sich seines Mantels zu entledigen, als er innehielt, die Schultern zuckte und den schweren Mantel in die ausgestreckten Hände seines Butlers fallen ließ. »Ah ja?«
»Ich habe gehört, dass Lord Walpole bald nach Schloss Lambourn zurückfahren wird. Er lässt fragen, ob Sie irgendwelche Nachrichten für die Gräfin Dowager haben.«
»Mit anderen Worten«, brummte Gyles und rückte seine Manschetten zurecht, »ist er auf die neuesten Klatschgeschichten erpicht und wird sich davor hüten, sie Mama und meiner Tante vorzuenthalten.«
»Wie Sie meinen, Mylord. Außerdem wollte Ihnen Mr. Waring einen Besuch abstatten. Er ging davon aus, dass Sie am Abend zurück sein würden, und hinterließ eine Nachricht, dass er sich bereithalten und Eure Lordschaft aufsuchen werde, wann immer es Ihnen genehm ist.«
»Danke, Irving.« Gyles schlenderte in die Eingangshalle. Hinter ihm schloss ein Lakai leise die Tür. Gyles blieb in der Mitte der Halle mit dem grün-weiß gefliesten Boden stehen und drehte sich nach Irving um, der in seiner schwarzen Livree geduldig dort stand und wartete. »Lassen Sie Waring kommen.« Gyles ging durch die Halle. »Schicken Sie ihm die Kutsche und einen Lakaien. Es ist bereits spät.«
»Umgehend, Mylord.«
Ein anderer höflicher Lakai öffnete die Tür zur Bibliothek. Gyles ging hinein und die Tür schloss sich hinter ihm.
Sein Onkel, Horace Walpole, saß in einem Sessel, die Beine weit von sich gestreckt, in einer Hand ein halb volles Glas Weinbrand. Er öffnete zuerst ein Auge, dann beide und setzte sich aufrecht hin. »Da bist du ja, mein Junge. Ich habe mich schon gefragt, ob ich ohne irgendwelche Neuigkeiten zurückfahren muss, und überlegt, was ich mir alles ausdenken könnte, ohne ertappt zu werden.«
Gyles ging auf den Karaffenständer zu. »Ich glaube, du kannst dir deine Lügen sparen. Waring wird bald hier sein.«
»Der Mann, der sich um deine Angelegenheiten kümmert?«
Gyles nickte. Mit einem Glas in der Hand ließ er sich in seinen Lieblingssessel sinken und genoss das wohlige Gefühl weichen Leders. »Er ist gerade dabei, etwas für mich herauszufinden.«
»Oh? Und worum handelt es sich dabei?«
»Um die Frage, wer meine Frau werden soll.«
Horace starrte ihn an, dann setzte er sich aufrecht hin. »Zum Teufel! Es ist dir wirklich ernst.«
»Die Ehe ist kein Thema, worüber ich zu scherzen beliebe.«
»Das freut mich zu hören.« Horace nahm einen großen Schluck von seinem Weinbrand. »Henni sagte bereits, dass du dich mit Heiratsabsichten trägst, aber ich hätte wirklich nicht geglaubt, du würdest sie in die Tat umsetzen - hm, jedenfalls jetzt noch nicht.«
Gyles versuchte, sein bitteres Lächeln zu verbergen. Horace war sein Vormund, seitdem sein Vater gestorben war. Gyles war sieben Jahre alt gewesen, als er starb, und es war Horace gewesen, der ihn von klein auf begleitet hatte. Es gelang ihm jedoch immer wieder, Horace zu überraschen. Seine Tante Henrietta jedoch, von allen kurz Henni genannt, schien seine Meinung zu wichtigen Fragen genau zu kennen, obwohl er sich in London aufhielt und sie auf seinem Landsitz in Berkshire weilte. Er war seiner Mutter, die ebenfalls auf Schloss Lambourn wohnte, schon lange dankbar dafür, dass sie ihre Gedanken und Gefühle für sich behielt. »Ich kann die Ehe ja nicht einfach so umgehen.«
»Da hast du Recht«, pflichtete ihm Horace bei. »Keinem von uns würde es gefallen, wenn Osbert der nächste Graf würde. Auf keinen Fall Osbert.«
»Das sagt mir Großtante Millicent auch ständig.« Gyles deutete auf den großen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers. »Dort liegt ein weiteres Schreiben, in dem von mir verlangt wird, dass ich meiner Familie gegenüber meine Pflicht erfüllen, ein angemessenes junges Ding auswählen und sie so schnell wie möglich heiraten soll. Jede Woche bekomme ich einen solchen Brief.«
Horace verzog das Gesicht.
»Und jedes Mal, wenn Osbert mir über den Weg läuft, schaut er mich an, als wäre ich seine einzige Rettung.«
»Nun, das bist du ja auch. Wenn du nicht heiratest und einen Erben zeugst, muss er es tun. Und der Gedanke, dass Osbert in den Grafenstand erhoben wird, ist einfach zu deprimierend.« Horace trank sein Glas leer. »Dennoch hätte ich nicht vermutet, dass du dich von der alten
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