Die Wächter von Jerusalem
wie er den Namen des Prächtigen aussprach. Es klang irgendwie respektlos, so als würde er über einen der Waffenschmiede sprechen, die in der Kaserne arbeiteten. »Noch mehr vertraut er jedoch darauf, dass wir seine Interessen durchsetzen und ihn verteidigen werden. Aber wenn wir dies nicht mehr können, weil Özdemir Möglichkeiten gefunden hat, uns die Hände zu binden, ist Jerusalem verloren .« Ibrahim schob sich weiter in das Stroh hinein. Feiner Staub wirbelte auf. Er stach Rashid in die Augen, er verklebte seine Nase und seinen Mund. Die Strohspäne reizten seinen Rachen, und aus den Tiefen seiner Brust wollte ein Husten emporsteigen . Rashids Augen begannen zu tränen, seine Kehle fühlte sich an, als wäre Sand hineingeraten. Schließlich biss er sich in den Unterarm. Das half wenigstens fürs Erste.
»Hast du Beweise?«
»Hier, das habe ich heute erhalten.« Rashid hörte das Rascheln von Pergament. »Es ist ein Befehl von Özdemir, nach dem ich im Falle dieses christlichen Predigers zuerst ihm Meldung erstatten soll, wenn wir eine Spur finden. Wir sollen auf keinen Fall ohne sein Wissen Maßnahmen zur Überführung dieses Predigers ergreifen, die er nicht angeordnet hat.«
»Und? Was …«
»Dies ist der erste Schritt, Omar. Wenn wir den akzeptieren, wird Özdemir immer weiter gehen!« Rashid hörte, wie er die Luft durch die Nase einsog, und er beneidete ihn darum. Der Hustenreiz hatte sich mittlerweile zwar ein wenig gelegt, dafür begann jedoch der Staub in seiner Nase zu kribbeln. »Ich sehe das Ganze so. Özdemir macht gemeinsame Sache mit diesem rätselhaften Prediger. Wer weiß, vielleicht ist er es sogar selbst. Damit wir ihm nicht in die Quere kommen können, grenzt er Stück für Stück den Einflussbereich der Janitscharen ein, bis wir kaum mehr tun dürfen als Ziegen zu hüten. Suleiman merkt davon natürlich nichts. Er ist weit weg und mit seinen zahlreichen Frauen, der Mehrung seines Reichtums und ähnlich wichtigen Dingen beschäftigt. Und bis ihn endlich die Nachrichten aus Jerusalem erreichen, ist die Stadt bereits gefallen und ächzt unter dem Joch eines Tyrannen, der sich nur noch mit äußerster Gewalt wieder vertreiben lässt.«
Omar stöhnte auf, als würde er das Joch bereits fühlen. Rashid biss die Zähne zusammen. War Omar wirklich so einfältig , dass er Ibrahim Glauben schenkte? War er wirklich geneigt zu glauben, dass Özdemir, der seit mehr als zehn Jahren in Weisheit, Gerechtigkeit, Gottesfurcht und bedingungsloser Treue zu Suleiman dem Prächtigen die Geschicke der Stadt lenkte, sich nun zum Tyrannen aufschwingen wollte? Zu einem Herrscher mit dem Ziel, alle Moslems und Juden aus der Stadt zu vertreiben? Kein Mann mit nur einem Funken Verstand konnte so etwas annehmen. Omar musste verrückt geworden sein, wenn er Ibrahim das alles glaubte.
»Furchtbar!«, stieß Omar hervor. »Aber was können wir denn dagegen unternehmen?«
»Das Wichtigste ist, dass wir ihm zuvorkommen. Wir müssen Özdemir von seinem Thron stoßen, bevor es ihm gelungen ist, den Janitscharen alle Befugnisse streitig zu machen.«
»Du meinst, wir sollen ihn …«
»Ich weiß, der Gedanke ist entsetzlich. aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Wir müssen ihn festnehmen und in den Kerker werfen. Vielleicht müssen wir ihn sogar töten, mein Freund. Natürlich nur, um seinen Anhängern zu zeigen, dass Verräter nicht mit unserer Barmherzigkeit rechnen können. Und dann werden wir über die Stadt herrschen.«
»So lange, bis die Boten Suleiman erreicht haben und der Prächtige einen neuen Statthalter für Jerusalem bestimmt hat.«
»Natürlich.«
Ja, natürlich. Selig sind, die glauben; und die Einfältigen, die Dummen, die sich leicht täuschen lassen und die Wahrheit nicht sehen wollen, auch. Rashid wusste selbst nicht, weshalb ihm ausgerechnet jetzt Worte aus der Bibel der Christen einfielen . Aber sie passten hervorragend. Wenn Ibrahim es wirklich in Erwägung zog, einen Boten zu Suleiman zu schicken, wollte er sich auf der Stelle den Kopf kahl scheren lassen.
»Hast du bereits eine Idee, wie wir das anstellen sollen, Ibrahim? Wie können wir an Özdemir herankommen?«
»Es gibt mehrere Möglichkeiten, die alle sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen«, antwortete Ibrahim. »Wir dürfen keinen Fehler machen. Zuerst werden wir Özdemirs Leibgarde ausschalten müssen. Es sind zwar nur ein Dutzend Männer, aber sie sind gut ausgebildet. Es ist ohne weiteres möglich, dass sie sich
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