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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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die lange nicht benutzt worden war. Sie sprachen kein Wort. Erst als sie wieder auf dem Platz vor der Kirche standen und das Sonnenlicht und der Lärm der Stadt sie in die diesseitige Welt zurückriss, wich die ehrfürchtige Starre allmählich von ihnen.
    »Was sind das nur für Narren!«, sagte Pater Giacomo. Seine Stimme bebte immer noch. Allerdings hatte Stefano den Eindruck, dass jetzt ein deutlich zorniger Unterton mitschwang . »Sie stehen an dieser heiligen Stätte, ihre Füße berühren diese Steine, dieselben, auf denen wir gerade stehen. Und dennoch glauben sie nicht, dass Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist, der gesandt wurde, um die Menschen von Sünde und Tod zu erlösen.« Er schüttelte den Kopf und fuhr leise fort. »Für diese Gottlosen gibt es keine Rettung. So viel Dummheit, Ignoranz und Überheblichkeit muss bestraft werden.«
    »Was werden wir jetzt tun, Pater? Wir haben nicht mehr viel zu essen. Und unser Geld habt Ihr dem Mann in der Kirche gegeben. Wie sollen wir …«
    »Wie die Lerchen auf dem Feld, so wird auch uns der Herr ernähren«, sagte Pater Giacomo. »Mach dir keine Sorgen, mein Sohn. Zuerst werden wir uns eine Herberge in einem christlichen Haus suchen. Und von dort aus beginnen wir mit der Erfüllung unserer Aufgabe. Anfangs mag noch das Haus unserer Gastgeber ausreichen, wenn wir die wahren Gläubigen zusammenrufen, um mit ihnen zu beten und das Brot zu brechen. Doch schon bald werden wir einen größeren Versammlungsort brauchen, einen Ort, der im Verborgenen liegt, wo wir uns in aller Verschwiegenheit mit jenen Brüdern und Schwestern im Glauben treffen können, bei denen unsere Botschaft auf fruchtbaren Boden gefallen ist.«
    »Im Verborgenen? Aber ich dachte …«
    »Anfangs, mein Sohn«, erklärte Pater Giacomo und legte ihm einen Arm um die Schulter, »anfangs werden wir im Geheimen arbeiten müssen, bis wir den Kampf aufnehmen können . Wir haben viele Feinde in dieser Welt. Und damit meine ich nicht nur die gottlosen Moslems mit ihren Janitscharen. Da sind die Juden, an deren Händen das Blut unseres Herrn klebt. Selbst aus den Reihen der Christen werden wir mit Anfeindungen rechnen müssen. Sie werden uns nachspüren, uns jagen, sie werden versuchen, uns zu fangen, denn sie haben Angst vor uns. Sie haben Angst vor uns und unserer Botschaft, die das Ende ihrer eigenen Herrschaft bedeutet. Sie alle werden nicht tatenlos dabei zusehen, wie es uns gelingt, sie aus dieser Stadt zu vertreiben.«
    Stefano schluckte. Ihm wurde bewusst, dass er sich auf ihrem ganzen Weg nach Jerusalem keine Gedanken darüber gemacht hatte, woraus nun eigentlich die Aufgabe bestand, von der Pater Giacomo unablässig sprach. Und jetzt, da sie hier in Jerusalem waren und es ihm zum ersten Mal klar wurde, bekam er Angst. Pater Giacomo sprach von einem Kampf. Und ganz gleich, mit welchen Waffen er auch ausgefochten werden würde, er war gefährlich. Stefanos Herz begann schneller zu schlagen, und er hatte nur noch einen Wunsch – weit fort zu sein. Am besten in dem kleinen friedvollen Kloster, in dem er aufgewachsen war.
    »Aber …«
    »Mach dir keine Sorgen, mein Sohn«, sagte Pater Giacomo und tätschelte ihm lachend den Kopf. »Denk immer daran, dass der Herr selbst Seine schützende Hand über uns hält. Er wird uns durch alle Gefahren sicher hindurchführen, Er wird Seine Engel aussenden, um unseren Feinden zu schaden, damit wir Ihm den Weg bereiten können.«
    Stefano wurde rot. Pater Giacomo war so zuversichtlich, sein Glaube war so stark, dass er sich für seine eigene jämmerliche Furcht schämte. Und dennoch, ein winziger Rest von Zweifel blieb.
    »Nun komm, mein Sohn«, sagte Pater Giacomo und packte seinen Stab fester. »Lass uns gehen. Der Herr wird uns in Seiner unermesslichen Güte zu einem geeigneten Haus führen, in dem wir übernachten können.«
    Was tue ich hier?, fragte sich Stefano, während er Pater Giacomo nachblickte, der mit langen Schritten den Platz überquerte . Will ich wirklich all diese Menschen aus dieser Stadt vertreiben? Diese Stadt ist schließlich ihre Heimat, und wir sind die Fremden. Warum bin ich hier? Was ist meine Aufgabe ?
    »Diene dem Herrn!«
    Stefano wandte sich rasch um. Hatte er die Stimme wirklich gehört? Hatte irgendwo jemand diese Worte gesprochen? Oder war sie nur in seinem Kopf gewesen, diese klare, freundliche Stimme? Er atmete geräuschvoll aus, ein Schauer lief ihm über den Rücken. War das … war das etwa die Stimme eines

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