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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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des 21. Jahrhunderts präsentierte.
    Regungslos wie eine Statue saß er in dem Sessel und starrte hinaus. In seinen Händen hielt er eine Teeschale, ein winziges dünnwandiges Ding, das schon beim Hinsehen zu zerbrechen drohte, in Wirklichkeit aber geradezu beängstigend solide war. Anselmo erkannte sie sofort, und er spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Er hasste diese Tasse. Sie gehörte zu einem chinesischen Teeservice aus der Zeit der Ming-Dynastie. Die anderen Schalen und die passende Kanne standen auf einem Ebenholztablett, kaum eine Armlänge von Cosimo entfernt, als hätte er Angst, jemand könnte es ihm wegnehmen. Auf Auktionen erzielten so erstklassig erhaltene Stücke wie dieses geradezu astronomische Preise. Mehr als einmal hatte Anselmo versucht Cosimo dazu zu überreden, das Service endlich zu verkaufen. Aber es war vergebene Liebesmüh. Cosimo behauptete dann immer, dass zu viele Erinnerungen damit verbunden seien. Erinnerungen , die zu kostbar seien, um sie gegen Geld einzutauschen .
    Kostbare Erinnerungen . Anselmo biss die Zähne zusammen . Er konnte nicht verstehen, weshalb Cosimo sich immer wieder freiwillig diesen Qualen hingab, warum er sich nicht einfach von dem Porzellan trennte und endlich vergaß.
    Das Service war in so mancher Hinsicht eines der letzten Überreste einer glorreichen Dynastie. Von den mächtigen chinesischen Kaisern, die dem Porzellan ihren Stempel aufgedrückt hatten, waren nichts als klangvolle Namen in den Abhandlungen der Historiker und Antiquitätenhändler geblieben . Ebenso wie von der florentinischen Familie Medici, in deren Auftrag das Porzellan vor rund fünfhundert Jahren auf einer überaus abenteuerlichen Reise nach Europa gebracht worden war. Sie alle waren nichts als Staub und Asche, begraben und vergessen. Und Anselmo wünschte, dass das Service endlich das Schicksal seiner ehemaligen Besitzer teilen möge. Mehr als einmal hatte er schon mit dem Gedanken gespielt, das Hausmädchen zu bestechen, damit es beim Putzen »versehentlich« das Tablett umstieß. Doch er wagte es nicht. Cosimos Verdacht würde sofort auf ihn fallen, und es gab nichts auf dieser Welt, das er mehr fürchtete als Cosimos Zorn. Wenn er aber dieses unselige Teeservice schon nicht zerstören konnte, so gehörte es doch wenigstens in die Obhut eines Museums. Oder in die Hände eines Sammlers, der sich beim Betrachten der Schalen nicht von jedem einzelnen Pinselstrich mit schmerzhaften Erinnerungen quälen ließ.
    »Anselmo«, sagte Cosimo plötzlich, ohne seinen Blick von dem Panorama der Stadt abzuwenden, »nimm dir auch eine Schale Tee. Kommst du, um einen Versuch zu starten, mich aus meiner Trübsal zu reißen?«
    »Ich wusste, dass ich dich hier finden würde, Cosimo«, antwortete Anselmo, trat rasch neben den Sessel und schenkte sich die duftende Flüssigkeit in eine der zarten Schalen. Jasmintee . Ein weiteres Zeichen für Cosimos depressive Stimmung . Er trank diesen Tee ausschließlich in Phasen der Schwermut. »Du liebst den Platz vor dem Fenster, den ungehinderten Blick über die Stadt.«
    »Ja. Und der Sessel ist überaus bequem. Viel bequemer als alle Stühle, die wir früher hatten. Er schlingt sich um mich und nimmt mich in sich auf, sodass ich mich geborgen fühle wie im Schoß meiner Mutter.«
    Er machte eine Pause, um einen Schluck zu trinken, und Anselmo warf ihm einen raschen Blick zu. Über Cosimos Gesicht huschte ein Lächeln, flüchtig zwar und kaum wahrnehmbar , aber dennoch war Anselmo erleichtert. Dieses Lächeln bedeutete ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Vielleicht hielt die Melancholie ihn dieses Mal nicht ganz so fest in seinen Klauen wie gewöhnlich.
    »Wenn du hinausschaust, Anselmo, kannst du dann auch immer noch die Dächer sehen, so wie sie einst waren? Kannst du das Klappern der Räder der Kutschen auf den Straßen hören , den Unrat riechen, um den sich die Ratten in den Gassen balgten?« Er schloss die Augen und sog tief die Luft ein, als ob er diesen eigentümlichen Geruch tatsächlich wahrnehmen könnte.
    Anselmo schüttelte sich. Manche Dinge aus der Vergangenheit vermisste sogar er, aber der Gestank des langsam in der Gosse verfaulenden Abfalls gehörte bestimmt nicht dazu. Doch er sagte nichts. Die Jahre, die seit damals verstrichen waren, verklärten manches. Und vielleicht konnte man sich selbst nach Fäulnis und Verwesung zurücksehnen, wenn man nie gezwungen gewesen war, darin zu leben.
    »In all den Jahren hat sich so viel geändert,

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