Die Wälder von Albion
warf ihr hin und wieder prüfende Blicke zu, aber die ältere Priesterin war ebenfalls krank. Davon wußte niemand etwas, auch Eilan nicht, die Caillean näherstand als alle anderen. Als Eilan sie einmal fragte, ob ihr etwas fehle, antwortete Caillean, ihre Regel sei durcheinander. Daraufhin wuchsen Eilans Ängste noch mehr, denn Caillean konnte mit Sicherheit nicht schwanger sein! Hatte ihre Sünde einen Fluch über Vernemeton gebracht? Hatte sie nun Caillean angesteckt, die ihr am nächsten stand? Würden sie alle sterben müssen?
Dann kamen Stunden, in denen Eilan alles für krankhafte Einbildung hielt, aber die Unsicherheit quälte sie ebensosehr von morgens bis abends wie der ständige Brechreiz. Die Vorstellung, ihre Ängste würden sich bestätigen, schien jedoch noch schrecklicher zu sein als die Ungewißheit. Deshalb wagte sie nicht, Caillean oder die alte Latis ins Vertrauen zu ziehen und zu fragen, ob sie wirklich schwanger war.
Caillean nahm ein paar Thymianblättchen zwischen die Finger - Latis hatte ein Kräuterbeet im Innenhof angelegt - und zerrieb sie langsam. Dann atmete sie in der kühlen feuchten Morgenluft tief den starken Duft ein. Thymian half gegen Kopfschmerzen, und vielleicht konnte sie ihre damit verjagen.
Wenigstens hatten die ständigen Blutungen endlich aufgehört, die sie schon den ganzen Sommer über beunruhigten und schwächten. Jetzt wollte sie durch den Kontakt mit der Erde das drohende Gefühl der Angst vertreiben, das sie ebenfalls quälte.
Von den Abtritten hinter der Mauer hörte sie, wie sich jemand würgend übergab. Sie wartete verblüfft und überlegte, wer so krank war, daß er sich am frühen Morgen übergeben mußte. Es dauerte nicht lange, und Caillean sah eine Gestalt im weißen Nachthemd verstohlen und leicht schwankend durch den Bogengang eilen. Zum ersten Mal seit Wochen waren Cailleans innere Sinne wieder hellwach, und sie wußte mit plötzlicher Gewißheit, wer das war und um welche Art Krankheit es sich handeln mußte.
»Eilan, komm her!« rief sie im Befehlston der Priesterin, und Eilan war zu gut erzogen, um nicht zu gehorchen. Zitternd drehte sie sich um und kam in den Innenhof. Caillean sah ihre eingefallenen Wangen, die ungewohnt prallen Brüste, und sie machte sich Vorwürfe. Ihre eigenen Sorgen hatten sie offenbar mehr beschäftigt, und sie war blind gewesen. Wie sonst hätte sie das übersehen können?
»Wie lange hast du das schon? Seit Beltane?« fragte sie. Eilan sah sie niedergeschlagen an und ließ den Kopf sinken. »Mein armes Kind!« Caillean breitete die Arme aus, und Eilan ließ sich schluchzend von ihr trösten.
»Caillean, Caillean! Ich habe geglaubt, ich bin krank… Ich dachte, ich würde sterben!«
Caillean fuhr ihr liebevoll über die Haare. »Hast du seitdem deine Blutungen gehabt?«
Eilan schüttelte den Kopf.
»Dann wirkt in dir das Leben und nicht der Tod«, sagte die ältere Priesterin. Sie spürte, wie sich Eilans Spannung löste.
Auch in Cailleans Augen traten Tränen. Eine Schwangerschaft… das war natürlich eine schwierige Sache, und doch empfand sie sogar einen gewissen Neid bei dem Gedanken daran, wie ihr Körper sie jetzt im Alter im Stich ließ. Noch wußte Caillean nicht, ob nur das Ende ihrer Fruchtbarkeit erreicht war oder das Ende ihres Lebens.
»Wer hat dir das angetan, mein Liebling?« fragte sie leise. »Kein Wunder, daß du so verstört warst. Warum hast du mir denn nichts gesagt? Du konntest doch nicht glauben, ich hätte kein Verständnis für dich!«
Eilan hob den Kopf und sah sie mit rotgeränderten Augen an. Caillean wußte, daß Eilan niemals log.
»Es war keine Vergewaltigung… «
Caillean seufzte. »Dann war es wohl dieser junge Römer… «
Eilan nickte stumm, und Caillean blickte nachdenklich zum noch dunklen Himmel hinauf.
»Armes Kind«, sagte sie schließlich. »Hätte ich es gleich erfahren, dann wäre noch eine andere Lösung möglich gewesen. Vermutlich ist es dafür bereits zu spät… « Sie seufzte und dachte nach. »Ja, es ist zu spät, wenn du bereits drei Monate schwanger bist. Dann werden wir es Lhiannon sagen müssen.«
»Was wird sie mit mir machen?« fragte Eilan zitternd.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Caillean. »Vermutlich wenig.«
Das Gesetz von Vernemeton verlangte zwar den Tod einer Priesterin, die ihr Gelübde brach. Aber in Eilans Fall würde man es bestimmt nicht anwenden.
»Vermutlich wird man dich wegschicken«, sagte Caillean leise, »aber damit hast du
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