Kerzilein, kann Weihnacht Suende sein
Vorwort
Wir leben in einer Zeit der Paradigmenwechsel, der Umwertung aller Werte, des Bruchs mit überkommenen mythologischen Vorstellungen, der Entzauberung von Übermenschen. Übermenschen, die sie nie waren, nur in unserer Vorstellung. Warum haben wir lange geglaubt, Bundespräsidenten kriegen nie eine Lebensmittelkrise, heiraten eine junge Frau, wollen ihr natürlich ein schmuckes Eigenheim bieten, schön Urlaub machen, haben aber keinen Euro mehr auf der Naht, weil die Scheidung ja kostet, und wollen aber nicht so gern darüber sprechen, wo die Kohle herkommt. Es ist menschlich! Woher kommt die abwegige Vorstellung, dass ein steinreicher Politiker, von dem der Vater natürlich einen akademischen Titel erwartet, die Doktorarbeit ohne fremde Hilfe schreibt? Haben wir nie abgeschrieben in der Schule? Es gibt keine Übermenschen. Hohe Versicherungsangestellte verjubeln ihre Gratifikation, man ist versucht zu sagen, wie der Name schon sagt, genauso gern im Puff wie niedrigere. Wir sind alle Menschen. Keine Ehe muss ewig halten. Ich verstehe jeden mäßig erfolgreichen Soulsänger, der sagt: »Ich hab die Faxen dick, immer dieser Stress, dieses Bossgehabe und diese unerträglich hohe Stimme und die ewigen Kopfschmerzen, und Geld macht nicht glücklich, also werde ich sie von der Hälfte ihrer Last befreien, denn wir haben keinen Ehevertrag.«
Wir sind alle keine Übermenschen. Kein Sportler sollte es sich länger gefallen lassen, dass man ihm abverlangt, Vorbild zu sein. Ein ausgezeichneter Fußballer ist Vorbild für alle Kinder, die später mal Fußballer werden wollen in den Bereichen Ballbehandlung, Blutgrätsche, Schwalbe, Ellbogeneinsatz im Luftkampf und all den anderen Finessen, die das »Rasenschach« für seine Fans bereithält. In anderen Bereichen definitiv nicht. Lothar Matthäus, unstrittig ein großartiger Ballkünstler, agiert, was sein Paarungsverhalten angeht, eher unbeholfen, andere haben alle Ganglienknoten voll zu tun, Malapropismen zu vermeiden, also den fehlerhaften Gebrauch von Fremdwörtern. An Sätzen wie »Der Trainer hat den Fokus sehr hoch gehängt« haben wir alle Freude, ohne dem Sprecher deshalb Vorbildcharakter zu attestieren. Und es muss einmal Schluss sein damit, dass Eltern Kindern erzählen, es wäre physikalisch möglich, dass ein einzelner adipöser Mann im roten Mantel mithilfe eines von Rentieren gezogenen Schlittens alle Kinder dieser Welt am 24. Dezember mit Geschenken ihrer Wahl versorgt. Das ist aber nicht das einzige Mirakel, denn in den Vorwochen agiert dieselbe Gestalt weltweit in Kaufhäusern, Malls und Innenstädten, lässt Kinder auf seinem Schoß sitzen und Wünsche äußern. Auch der Weihnachtsmann ist nur ein Mensch mit Fehlern, Schwächen, Macken, verbotenen Wünschen, kurz: Er ist so, wie unser Büchlein ihn in Wort und Bild schildert. Wir wollen ihn auf Menschenmaß zurechtstutzen, entzaubern. Zugegeben: Dabei schrecken wir vor nichts zurück.
Ich höre schon die Tugendwächter aufheulen: »Wie pubertär ist das denn?«
Liebe Elfenbeinturmwächter, erinnert euch an das Goethewort: »Geniale Naturen erleben wiederholte Pubertät, während andere Leute nur einmal jung sind.« Und aus gegebenem Anlass möchte ich auch noch Schopenhauer zitieren: »Die Genitalien sind der eigentliche Brennpunkt des Willens.«
Und nun frohes Sacksausen.
Ihr Jürgen von der Lippe
Liebe Weihnachtsfestanwender und -anwenderinnen,
der Weihnachtspudding ist eine Süßspeise aus Rosinen und Rindernierenfett, mit der traditionsbewusste Briten ihr Weihnachtsfest krönen meinen zu müssen. Das Wort »Weihnachtspudding« kann aber auch für etwas stehen, das noch unerfreulicher ist. Nämlich für das, was man bildlich gesprochen in den Knien hat, wenn einem am 24. Dezember gegen Einbruch der Dämmerung siedend heiß einfällt, dass man noch kein einziges Geschenk gekauft hat.
Da fönt man sich schnappatmend den eiskalten Angstschweiß von der fiebrigen Stirn und hat eigentlich nur noch eine Option: das sogenannte Sacksausen. Nämlich im verzweifelten Rentiergalopp durchs nächste Kaufhaus hetzen, um den überlebensnotwendigen Tagesbedarf an Panikpräsenten zu decken.
Irgendwie wird Opa sich schon über das solarbetriebene Epilier-Gerät für die Handtasche freuen. Und vielleicht findet Mutti ja Gefallen am 50-Liter-Bundeswehr-Benzinkanister in freundlichem NATO-Oliv, wenn sie erst herausfindet, dass sich das Ding ganz prima zum Ansetzen von Maibowle eignet. Wenn nicht, so ist das
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