Die Wälder von Albion
Eilan hatte ihre Entscheidung getroffen. »Ich kann diese Kinder nicht für die Fehler ihrer Eltern verantwortlich machen. Senara und Lia können sich ihrer annehmen. Wir geben ihnen neue Namen und behandeln sie wie jeden, dem wir hier Schutz gewähren. Niemand wird daran Anstoß nehmen.« Sie lächelte bitter. »Schließlich weiß man, daß ich ein Herz für mutterlose Kinder habe!«
»Das stimmt… «, brummte Ardanos. »Aber Cynric sollte schnellstens verschwinden. Denn das weiß ich inzwischen, wo er auftaucht, gibt es Schwierigkeiten.«
Er sah den jungen Mann finster an, und Dieda wurde blaß.
»Die Römer werden vielleicht nicht die Mädchen suchen, aber ganz bestimmt dich!«
»Wenn sie sich mit mir anlegen«, erklärte Cynric, »dann werden sie vielleicht mehr Schwierigkeiten bekommen, als ihnen lieb ist.«
Eilan seufzte. Die Lage schien wieder einmal aussichtslos. Aber sie wußte, es half wenig, mit Cynric zu rechten… oder mit Dieda. Sie konnte nur versuchen, den Frieden etwas länger aufrechtzuhalten. Manchmal hatte sie den Eindruck, die Last von ganz Albion liege auf ihren Schultern… . und alle ihre Verwandten sorgten dafür, daß sich daran nichts ändern konnte.
Man rief Senara und übergab ihr die Kinder. Eilan kehrte ins Haus zurück und ließ Dieda mit Cynric allein.
Am Nachmittag hörte Eilan in dem Haus, in dem die Heilkräuter zum Trocknen lagen, jemanden weinen. Sie ging hinein und sah zu ihrem Erstaunen Dieda.
Dieda schreckte zusammen und wollte erregt auffahren, aber dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und begann von neuem zu schluchzen. Eilan stellte mit leichter Überraschung fest, daß Dieda, obwohl ihre Beziehung schon lange nicht mehr so eng wie früher war, keinen Grund sah, ihren Kummer vor ihr zu verbergen. Trotzdem war Eilan vorsichtig genug und versuchte nicht, sie zu trösten.
»Was ist los?« fragte sie. »Was ist denn geschehen?«
»Cynric!« rief Dieda unter Tränen und trocknete sich die Augen mit dem Schleier. »Er hat mich aufgefordert, ihm zu folgen… «
»Und das hast du abgelehnt«, sagte Eilan betont sachlich.
»Stell dir doch vor… ein Leben auf der Flucht… immer unterwegs… im Wald… in einem Versteck… immer die Angst, was geschehen könnte!« Sie schluchzte heftig und stieß dann hervor: »Soll ich vielleicht mitansehen, wie sie ihn eines Tages in Ketten wegführen oder mit ihren Schwertern töten? Nein, das kann ich nicht, Eilan! Das kann er nicht von mir verlangen. Hier habe ich wenigstens meine Musik und ich tue etwas, woran ich glaube. Weshalb sollte ich Vernemeton verlassen?«
»Hast du ihm das gesagt?«
Dieda nickte.
»Er hat mir vorgeworfen, daß ich ihn nicht wirklich liebe. Er hat gesagt, daß ich unsere Sache verrate… « Sie sank auf den Hocker und murmelte unter neuen Tränen: »Er hat gesagt, daß er mich braucht… «
Natürlich braucht er sie. Er denkt nur an sich! Hat er sich je gefragt, ob Dieda ihn braucht und ob sie einsam ist, weil er den Helden spielen muß?
»Es ist alles deine Schuld!« rief Dieda. »Ohne dich wäre ich schon lange nicht mehr hier. Ich hätte ihn geheiratet, und dann wäre er vielleicht von den Römern nie geächtet worden!«
Eilan mußte sich beherrschen, um Dieda nicht daran zu erinnern, daß sie ihr Gelübde als Priesterin abgelegt hatte, ohne daß sie jemand dazu gezwungen hatte. Es war ihr freier Wille gewesen. Selbst damals, als Eilan nach Gawens Geburt ihr Amt als Hohepriesterin antrat, hätte Dieda nicht nach Eriu, sondern zu Cynric gehen können. Aber die Arme wollte das alles nicht hören. Sie war unglücklich und brauchte jemanden, dem sie die Schuld an ihrem Kummer geben konnte.
»Ich werde den Blick nie vergessen, mit dem er sich von mir verabschiedet hat… «, jammerte Dieda. »Es werden vielleicht Monate oder sogar Jahre vergehen, bis ich erfahre, wo er sich aufhält, oder was mit ihm geschehen ist! Wenn ich bei ihm wäre, dann wüßte ich es wenigstens… «
»Ich nehme an, meine Meinung ist dir nicht wichtig«, sagte Eilan ruhig. »Ich weiß nicht, wie du meine Entscheidungen inzwischen beurteilst, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Ich kann dir jedoch versichern, auch ich habe in vielen Nächten geweint und mich gefragt, ob ich das Richtige getan habe. Dieda, auch du wirst es vielleicht nie mit letzter Sicherheit wissen… . du kannst nur das eine tun: Widme dich der Arbeit, die du hast, und hoffe darauf, daß die Göttin dir eines Tages den Grund für alles
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