Land des Todes
I
Nach dem letzten langen Winter musste ich so weit wie möglich weg aus der Stadt.
Erschöpfung und Abscheu erfüllten mein Leben. Ich war ihrer überdrüssig, der endlosen, im Lampenschein der Kaffeehäuser geführten Gespräche mit überkultivierten Ästheten, wie ich selbst einer bin. Ebenso überdrüssig war ich meiner Wohnung mit ihren ausgesucht geschmackvollen Kunstwerken sowie des beständigen Stroms geistreicher Besucher, des andauernden Kampfs um Reputation zwischen den kleingeistigen Literaten, des hinterhältigen Neids und des boshaften Klatsches.
Zudem war da noch die Sache mit dieser Dame: Eine unkluge Verstrickung war ihrerseits in unbändige Leidenschaft umgeschlagen und hatte mir beträchtliches Ungemach bereitet. Sie ist mit dem Generalsekretär der Schriftstellerinnung vermählt, einem Mann von gehörigem Einfluss in der literarischen Welt, und wäre die Liebschaft noch weitergegangen, hätten meine Zukunftsaussichten erheblichen Schaden erleiden können. Diese Affäre hatte im vergangenen Jahr zu einer starken Beanspruchung meiner Nerven geführt, woraufhin mir mein Arzt zu einer Erholungskur geraten hatte.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken,
mich an Bord eines Schiffes zu begeben und die schillernden
Hauptstädte der großen, weiten Welt zu besuchen, doch das
schien mir meinem gegenwärtigen Leben zu ähnlich zu sein. Dann
erinnerte ich mich daran, wie fasziniert ich als Junge von den
wilden Menschen der Schwarzen Berge und von den zugleich
düsteren und romantischen Landschaften des Nordens gewesen
war. Vielleicht konnte ich das, was ich brauchte, in meinem
eigenen Land finden ...
Ich stellte Erkundigungen an und sicherte mir letztlich überden Verwandten eines Freundes die Möglichkeit, ein Haus in Elbasa zu pachten, einem Weiler inmitten der Nordebenen. Man teilte mir mit, dass es für eine Wohnstätte im Hinterland ungewöhnlich luxuriös ausgestattet sei und einem Spross des nördlichen Königsgeschlechts gehöre, der seinerseits woanders zu leben schien. Aber der Besitzer hatte das Anwesen nicht dem Verfall überlassen: Ein tüchtiges Ehepaar hielt es in Schuss und würde mir als Diener zur Verfügung stehen, sollte ich die Pachtmöglichkeit wahrnehmen.
Und so begab es sich, dass ich in den frühen Stunden eines frostigen Frühlingsmorgens einen Hansom kommen ließ und die lange Reise zum Nordplateau antrat.
Selbstverständlich hatte ich trotz meines Hangs zu Wissenschaft und Skepsis – ich verachte weibischen Aberglauben – gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Es kursierten zu viele Geschichten über allzu furchtlose Reisende, die in dem hochmütigen Glauben an die Überlegenheit der Zivilisation in die Wildnis aufgebrochen waren und dann ein tragisches Schicksal erlitten hatten. Deshalb wollte ich den Schutz meiner Person nicht völlig außer Acht lassen. Ich suchte Aron Lamaga auf, den berühmtesten Magier der Stadt, und besorgte mir einige kostspielige Zauber, um mich während der Reise und meines Aufenthalts in meiner abgeschiedenen Residenz zu schützen. Das erschien mir nur vernünftig zu sein.
Aron Lamaga lebt im Magierviertel, und wenngleich manche meiner Bekannten diese Gegend frequentieren, weil sie dem Vernehmen nach die belebtesten Trinkstuben zu bieten hat, muss ich gestehen, dass ich mich ihnen für gewöhnlich nicht anschloss. Die Bevölkerung dort besteht zum größten Teil aus Quacksalbern, Scharlatanen, Eigenbrötlern, Geisteskranken und Verbrechern. Selbst die Polizei wagt sich mit stillschweigendem Einverständnis nicht in diesen Bezirk. Was nicht nur daran liegt, dass jenes verwirrende Labyrinth schmaler Gassen, dunkler Werkstätten und sonderbar baufälliger Gebäude Gefahren für unachtsame Fremde birgt, sondern auch daran, dass in diesem Viertel die Naturgesetze nicht gelten – zumindest habe ich das gehört.
So sagt man, Stadtpläne böten kein zuverlässiges Geleit: Straßen, die an einem Tag belebte Verkehrsadern seien, gäbe es am nächsten schlicht nicht mehr; Bauwerke, die noch am Montag hoch und erhaben aufragen, könnten sich am Dienstag als armselige Hütten oder als unkrautüberwuchertes Ödland präsentieren; und wer sich ganz ohne Führung ins Magierviertel wage, verschwände nicht selten spurlos.
Wenngleich man die Läden anderer bedeutender Zauberer in weniger verruchten Vierteln findet, gilt doch Aron Lamaga gemeinhin als der berühmteste Vertreter seines Berufsstands. Selbst der Premierminister verlässt sich auf seine
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