Die Wälder von Albion
besser, wenn er den Knöchel wieder mehr belastete. Der junge Mann setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und atmete tief die kühle Luft ein, die nach der langen Zeit im Bett und im Haus doppelt belebend wirkte.
Vor zwei Wochen hatte es den Anschein gehabt, er werde nie wieder durch den Wald gehen können. So war er im Augenblick zufrieden, am Leben zu sein, die Sonnenflecken auf den grünen Blättern zu betrachten und die Frühlingsblumen ebenso zu bewundern wie die bunten Festtagskleider der Menschen, die mit ihm zum Festplatz wanderten.
Eilan trug über einem lichtgrünen Untergewand ein langes, locker gewebtes Kleid mit vielen Karos in Blaßgold, Braun und dem hellen Grün der knospenden Blätter. Ihr Haar lag wie ein schimmerndes Tuch um ihre Schultern und fiel bis auf den Rücken. Es leuchtete heller als das Gold ihrer Spangen und Armreifen. Für ihn gab es in dieser bunt geschmückten Welt nichts Schöneres als sie.
Er achtete kaum auf die Unterhaltung, die um das Fest kreiste. Als Kind war er mit der Sippe seiner Mutter bei Stammesfesten gewesen, und er vermutete, daß ihn etwas Ähnliches erwartete. Schon lange bevor sie den Platz erreichten, hörte er den Lärm vieler Menschen, denn zu einem großen keltischen Fest gehörte im allgemeinen auch ein Markt. Die Festlichkeiten hatten schon vor einigen Tagen begonnen und sollten noch mehrere Tage dauern. Aber heute, am Vorabend von Beltane, war der Höhepunkt, denn in der Nacht würde sich die Hohepriesterin des Orakels zeigen.
Am Waldrand waren viele bunte Zelte und Verkaufsstände aus geflochtenen Zweigen aufgebaut worden. Das Fest lockte die Menschen im Umkreis von vielen Tagesmärschen an. Die meisten waren Cornovier, aber Gaius sah auch Stammestätowierungen der Dobuner und Ordovicen. Sogar ein paar Deceangler aus der Nähe von Deva waren gekommen. Nach zwei Wochen in Bendeigids Haus fiel es ihm nicht mehr schwer, die britonische Sprache seiner Geburt zu verstehen und zu sprechen. Deva und die Legion schienen immer mehr zu verblassen und waren weit weg.
An den Ständen am Fuß des befestigten steil aufragenden Hügels verkaufte man Geschirr und alle möglichen Dinge, die offenbar von den Bauern der Umgebung hergestellt worden waren. Einige waren so schön und wertvoll, daß man sie sogar in Rom hätte verkaufen können. Vielleicht kamen manche Sachen sogar von dort, denn der Handel zwischen Rom und Britannien blühte. Die griechischen und gallischen Händler zogen überall hin. Es gab auch Stände mit Äpfeln und Süßigkeiten; an einem besonderen Platz wurden Pferde verkauft, und es gab sogar einen Arbeitsmarkt, wo man, wie Cynric erklärte, vom Schweinehirten bis zur Amme alles finden konnte.
Aber als Gaius endlich oben auf dem Festplatz stand, der auf der Spitze des Hügels wie eine Insel aus den Wäldern um Vernemeton aufragte, staunte er. Der Markt bedeckte eine große mit einem Ringwall umgebene Fläche; aber wegen der vielen Buden und Menschen konnte er sie nicht in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken. Am Ende des breiten Wegs in der Mitte erhob sich ein mächtiger aufgeschütteter Erdhügel mit einem Eingang aus Stein. Cynric machte ein Zeichen der Ehrerbietung, als sie den Weg überquerten.
Gaius fragte: »Ist das euer Tempel?«
Cynric sah ihn verständnislos an, schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, hier ist ein großer König unserer Vorväter begraben. Höchstens einer der alten Barden kennt vielleicht noch seinen Namen, sonst niemand mehr. Und wenn es ein Lied über ihn gibt, dann habe ich es entweder vergessen oder nie gelernt.«
Ein anderer, etwas längerer Weg führte zu einem Gebäude, das wie ein kleiner, quadratischer Turm aussah, der von einem schilfbedeckten Bogengang umgeben war. Als Gaius stehenblieb und das Bauwerk nachdenklich betrachtete, flüsterte Eilan: »Das ist der Schrein, in dem die heiligen Gegenstände aufbewahrt werden.«
»Er sieht wie ein Tempel aus… «, erwiderte er, aber Eilan lachte.
»Du weißt doch bestimmt, daß man die Götter nicht in einem Gebäude verehren kann, das von Menschen geschaffen wurde. Man kann die Götter nur unter dem offenen Himmel und inmitten von Bäumen verehren.« Sie schwieg und fügte dann hinzu: »Auf einigen Inseln im Westen, wo keine Bäume wachsen, halten sie die Rituale in Hainen aus Stein. Aber mein Vater sagt, die hohen Druiden, die von den Römern umgebracht wurden, haben die Geheimnisse der alten Steinringe hier im Süden mit ins Grab genommen.«
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