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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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[7]  1
    Die beiden Frauen sitzen in zwei Sesseln mit niedrigen
Rückenlehnen und hölzernen Armlehnen. Auf einem Tischchen gegenüber steht ein
laufendes Fernsehgerät, das die Ausmaße eines uralten Computers hat. Doch ihr
Blick ist nicht auf den Bildschirm gerichtet, die Lider sind geschlossen und
die Köpfe zur Seite gesunken. Vor dem Fenster erklingt auf dem Akkordeon eines
zugewanderten Straßenmusikers einer jener altmodischen Walzer, die früher auf
Hochzeiten beim Eröffnungstanz des frisch vermählten Brautpaars gespielt
wurden.
    Die anderen beiden liegen auf einem Doppelbett im Nebenzimmer, die
Augen unverwandt zur Decke gerichtet. Alle vier sind im schlichten Stil eines
Modegeschäfts aus einer armen Wohngegend gekleidet. Drei von ihnen tragen
angesichts des nasskalten Wetters schwarze Strickjacken, die Vierte hat ein
altmodisches geblümtes Kleid an. Die beiden im Vorderraum tragen dicke Socken
und flache schwarze Schuhe. Die zwei anderen haben, ganz brave Hausfrauen, ihre
Pantoffeln neben dem Bett abgestellt und sich mit den Strümpfen aufs Bett
gelegt.
    Koula tritt an mir vorbei, wirft einen Blick auf die sitzenden
Frauen und bekreuzigt sich. »Was kommt da noch alles auf uns zu?«, murmelt sie.
    Die Zweizimmerwohnung, kaum sechzig Quadratmeter [8]  groß, liegt in
der zweiten Etage in der Eolidos-Straße im Bezirk Egaleo. Beide Zimmer gehen
zur Straßenseite, wohingegen die Küche und das kleine Bad in den winzigen
Lichtschacht blicken. Ich trete an den quadratischen Holztisch mit seinem
bestickten Tischtuch und lese mir noch einmal den darauf zurückgelassenen
Zettel durch:
    Wir sind vier alleinstehende
Rentnerinnen, ohne familiäre Bindungen oder andere Verpflichtungen. Zuerst hat man
unser einziges Einkommen, die Renten, gekürzt. Als wir dann zum Arzt gehen
wollten, um uns unsere Medikamente verschreiben zu lassen, haben die Ärzte
gestreikt. Kaum hatten wir endlich doch die Rezepte bekommen, sagte man uns in
der Apotheke, wir könnten sie dort nicht einlösen, da die Krankenkassen bei den
Apotheken in der Kreide stünden, daher müssten wir unsere Medikamente von
unseren zusammengestrichenen Renten selbst bezahlen. Da wurde uns klar, dass
wir letztlich der gesamten Gesellschaft nur noch zur Last fallen. Daher haben
wir beschlossen zu gehen. So gibt es vier Rentnerinnen weniger, für die Ihr
nicht mehr sorgen müsst. Und Euch ermöglichen wir damit ein besseres Leben.
    Der Zettel ist in klarer, deutlicher Schrift verfasst. Daneben
haben sie ihre Personalausweise hingelegt: Ekaterini Sechtaridi, geboren am
23.4.1941, Angeliki Stathopoulou, geboren am 5.2.1945, Loukia Charitodimou,
geboren am 12.6.1943, Vassiliki Patsi, geboren am 18.12.1948.
    Stavropoulos tritt gerade aus dem Schlafzimmer, als die Sanitäter
eintreffen, um die Leichen abzutransportieren. [9]  Während er auf mich zutritt,
zupft er sich die Einweghandschuhe von den Fingern.
    »Sie bezweifeln offensichtlich nicht, dass es sich um Selbstmord
handelt«, meint er.
    »Kaum. Wie haben sie es getan?«
    Er zuckt die Achseln. »Das wird die Autopsie zeigen, aber da keine
Einschusswunden und auch keine aufgeschnittenen Pulsadern festzustellen sind,
kommt nur Gift in Frage. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber in
der Küche steht eine halbleere Flasche Wodka.«
    »Alkoholvergiftung durch Wodka?«, frage ich baff.
    »Nein, damit haben sie die Schlaftabletten eingenommen. Das ist eine
todsichere Methode, um friedlich zu sterben. Haben Sie den Zettel gelesen?«
    »Mhm.«
    »Was hat dieser Selbstmord für einen Sinn, Herr Stavropoulos?«,
fragt Koula dazwischen.
    »Tja, das Begräbnis erfolgt auf Staatskosten. Da sie keine
Verwandten haben, muss die öffentliche Hand dafür aufkommen. Das ist der
einzige Weg, um diesem verdammten Staat noch irgendwie Geld zu entlocken«,
erklärt er, bevor er die Wohnung verlässt.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragt mich Koula.
    Da wir für Selbstmorde im Normalfall nicht zuständig sind, wünsche
ich mir nichts sehnlicher, als umgehend die Wohnung zu verlassen. Schon
möglich, dass ich mich nach so vielen Jahren an den Anblick von Leichen gewöhnt
habe, doch es ist etwas anderes, einen Ermordeten vor sich zu haben, als vier
Rentnerinnen zwischen dreiundsechzig und siebzig, die ihrem Leben selbst ein
Ende gesetzt haben.
    [10]  »Wer hat sie gefunden?«, frage ich Koula.
    »Eine Freundin von Frau Patsi. Sie war schon leicht alarmiert, als
auf ihr Läuten hin niemand an die Tür ging, da die

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