Die Wälder von Albion
glatte Gesicht seines Sohns vor sich und suchte darin eine Spur der Kraft seines eigenen Vaters. Es bestand eine gewisse Ähnlichkeit… vielleicht das energische Kinn, aber der Junge hatte eine keltische Nase. Sie war klein, beinahe so zierlich wie die seiner Mutter. Kein Wunder, daß er wie ein Britone ausgesehen hatte, als er in seinem Amtszimmer erschienen war.
Ist er schwach, fragte sich Macellius, oder nur jung? Und dann stellte er sich die entscheidende Frage: Wem fühlt er sich wirklich verpflichtet, den Römern oder den Britonen?
»Das Chaos… «, antwortete er knapp. »Den Zerfall der Ordnung. Unruhen. Die Wiederkehr der vier Kaiser oder einer mordenden Königin wie Boudicca. Du kannst dich an diese Zeit nicht mehr erinnern, aber in dem Jahr, in dem du geboren wurdest, glaubten wir, das Ende der Welt sei gekommen… «
»Du hältst eine Rebellion der Römer für ebenso gefährlich wie die der Britonen?« fragte Gaius neugierig.
»Hast du Valerius Maximus gelesen?« fragte sein Vater. »Wenn nicht, dann tu es irgendwann einmal. Es gibt ein paar Exemplare hier in der Legionsbibliothek. Valerius Maximus hätte es nie schreiben sollen, es ist ein skandalöses Buch. Zu Neros Zeiten hätte es ihn beinahe den Kopf gekostet, was mich keineswegs überrascht. Angefangen hat er es in den Tagen des göttlichen Tiberius, und es enthält gute Gedanken über einige der folgenden Kaiser… Wenn man behauptet, einige von ihnen seien so fehlbar gewesen wie Gö… wie Götter es immer sind, dann ist das noch kein Hochverrat… heutzutage jedenfalls nicht. Aber was ich eigentlich sagen will, ist, selbst ein schlechter Kaiser ist besser als ein Bürgerkrieg.«
»Aber du hast gesagt, eine Reform muß möglicherweise von den Provinzen ausgehen… «
Macellius verzog den Mund. Der Junge war zumindest nicht dumm.
»Reform, keine Rebellion… Vielleicht erinnerst du dich, daß ich auch gesagt habe, daß Londinium heute so ist wie Rom früher einmal war. Die alten römischen Tugenden können in den Provinzen überleben… weit weg von der Korruption in der Umgebung des Kaisers. In vieler Hinsicht sind die Stämme hier noch so wie die Leute auf dem Land, dort, wo ich geboren wurde. Man muß ihnen das Beste der römischen Kultur geben, und dann wird Britannien vielleicht das, was Rom hätte sein sollen.«
»Hast du meine Mutter deshalb geheiratet?« fragte Gaius in die Stille.
Macellius blickte ihn an und staunte. Wieder einmal sah er vor seinem inneren Augen das zarte Gesicht und die schwarz gelockten Haare eines jungen Mädchens. Er hörte sie singen und konnte sich nicht satt daran sehen, wie sie mit dem Hornkamm ihre langen Locken kämmte, auf denen ein roter Schimmer lag, wenn das Licht des Feuers darauf fiel.
Moruad… Moruad… warum hast du mich alleingelassen?
»Vielleicht hat das auch eine Rolle gespielt«, antwortete er leise. »Aber vielleicht ist es auch eine Rechtfertigung dieser Ehe. Wir hatten damals wirklich gehofft, unsere beiden Völker miteinander verbinden zu können. Aber das war vor Classicus… und Boudicca. Es kann noch immer geschehen, aber es wird sehr viel länger dauern. Und du wirst römischer als die Römer sein müssen, um zu überleben.«
»Wird es zu Unruhen kommen?« fragte Gaius mit hochgezogen Augenbrauen, »hast du etwas gehört?«
»Der Kaiser war krank. Das gefällt mir nicht… schließlich ist Titus noch ein junger Mann. Vielleicht stirbt er im Bett, aber was dann kommt… wer weiß? Ich traue Domitian nicht.«
Macellius hob die Hand. »Mein Sohn, ich will dir einen Rat geben. Versuche so zu leben, daß nie ein Herrscher auf dich aufmerksam wird. Bist du ehrgeizig?«
»Die Götter mögen mich davor bewahren«, antwortete Gaius schnell, aber Macellius hatte den aufblitzenden Stolz in seinen Augen gesehen. Nun ja, Ehrgeiz war bei einem jungen Mann nicht das Schlechteste, wenn er in die richtigen Bahnen gelenkt wurde. Er lachte kurz.
»Ehrgeiz in Maßen und mit den richtigen Zielen ist nichts Schlechtes«, wiederholte er laut. »Wie auch immer, es ist Zeit, daß wir den nächsten Schritt zum Wohl unserer Familie tun. Es wird den Kaiser nicht beunruhigen, wenn wir deine Beförderung anstreben, aber du bist jetzt… neunzehn… . also alt genug, um zu heiraten.«
»Ich werde in ein paar Wochen zwanzig, Vater«, erwiderte Gaius und fragte dann mißtrauisch: »Denkst du dabei an jemanden bestimmtes?«
»Ich nehme an, du weißt, daß Clotinus… der alte Schurke… eine Tochter
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