Die Waffen nieder!
los zu werden, daß Arno vielleicht in diesem Augenblick stöhnend und sterbend in einem Graben lag – nach einem Tropfen Wasser lechzend – sehnsüchtig nach mir rufend ... Nur damit konnte ich mich allmählich beruhigen, daß ich mir mit aller Gewalt die Szene seiner Rückkunft vor die Einbildung rief. Die war ja ebenso wahrscheinlich – sogar viel wahrscheinlicher, als das verlassene Sterben – und da malte ich mir denn aus, wie er ins Zimmer hereinstürmte und ich an sein Herz flöge – wie ich ihn dann zu Rurus Wiege führte und wie glücklich und froh wir dann wieder sein könnten ...
Mein Vater war sehr niedergeschlagen. Es kam eine schlimme Nachricht nach der anderen. Zuerst Montebello, dann Magenta. Nicht er allein – ganz Wien war niedergeschlagen. Man hatte zu Anfang so zuversichtlich gehofft, daß ununterbrochene Siegesbotschaften Anlaß zu Häuserbeflaggung und Te deum Absingen geben würden; statt dessen wehten die Fahnen und sangen die Priester in Turin ... Dort hieß es jetzt: »Herr Gott, wir loben dich, daß du uns geholfen hast, die bösen Tedeschi zu schlagen.«
»Meinst du nicht, Papa,« frug ich, »daß, wenn noch eine Niederlage für uns käme, dann Frieden geschlossen würde? In diesem Falle könnte ich wünschen, daß –«
»Schämst du, dich nicht, so etwas zu sagen? Lieber soll es ein siebenjähriger – soll es ein dreißigjähriger Krieg werden, nur sollen schließlich unsere Waffen siegen und wir die Friedensbedingungen diktieren. Wozu geht man in den Krieg, doch nicht dazu, daß er baldmöglichst aus sei – sonst könnte man von vornherein zu Hause bleiben.«
»Das wäre wohl das beste,« seufzte ich.
»Was ihr Weibervolk doch feige seid! Selbst du – die du so gute Grundsätze von Vaterlandsliebe und Ehrgefühl erhalten – bist jetzt ganz verzagt und schätzest deine persönliche Ruhe höher als die Wohlfahrt und den Ruhm des Landes.«
»Ja – wenn ich meinen Arno nicht gar so lieb hätte!«
»Gattenliebe – Familienliebe – das ist alles recht schön ... aber es soll erst in zweiter Linie kommen.«
»Soll es?« ...
* * *
Die Verlustliste hatte schon mehrere Namen von Offizieren gebracht, die ich persönlich gekannt hatte. Unter anderen des Sohnes – des einzigen einer alten Dame, für die ich eine große Verehrung empfand.
An jenem Tage wollte ich die Ärmste aufsuchen. Es war mir ein peinlicher, schwerer Gang. Trösten konnte ich sie doch nicht – höchstens mitweinen. Aber es war eine Liebespflicht – und so machte ich mich denn auf den Weg.
Vor der Wohnung der Frau v. Ullsmann angelangt, zögerte ich lange, ehe ich die Glocke zog. Das letztemal, daß ich hierher gekommen, war es zu einer lustigen kleinen Tanzunterhaltung gewesen. Die liebenswürdlge alte Hausfrau war damals selber voller Lustigkeit. »Martha«, hatte sie mir im Laufe des Abends gesagt, »wir sind die beiden beneidenswertesten Frauen Wiens: Du hast den hübschesten Mann und ich den trefflichsten Sohn.« – Und heute? Da besaß ich wohl noch meinen Mann ... Wer weiß? Die Bomben und Granaten flogen ja dort unablässig; die letzte Minute konnte mich zur Witwe gemacht haben ... Und ich fing vor der Tür zu weinen an. – Das war die richtige Verfassung für solch traurigen Besuch. Ich klingelte, niemand kam. Ich klingelte ein zweites Mal. Wieder nichts.
Da streckte jemand aus einer anderen Flurtür den Kopf heraus: »Sie läuten umsonst, Fräulein – die Wohnung ist leer.« »Wie? Ist Frau v. Ullsmann fortgezogen?« »Vor drei Tagen in die Irrenanstalt überführt worden.« Und der Kopf war hinter der zufallenden Tür wieder verschwunden.
Ein paar Minuten blieb ich regungslos auf demselben Flecke stehen und vor meinem inneren Auge spielten sich die Szenen ab, die hier stattgefunden haben mochten. Bis zu welchem Grade mußte die arme Frau gelitten haben, bis daß ihr Schmerz in Wahnsinn ausbrach!
»Und da wollte mein Vater, daß der Krieg dreißig Jahre währte – für das Wohl des Landes ... wie viele solcher Mütter mußten da noch im Lande verzweifeln?«
Aufs tiefste erschüttert ging ich die Treppe herab. Ich beschloß, noch einen anderen Besuch bei einer befreundeten jungen Frau abzustatten, deren Gatte gleich auf dem Kriegsschauplatz war.
Mein Weg führte mich durch die Herrengasse an dem Gebäude – das sogenannte Landhaus – vorbei, wo der »patriotische Hilfsverein« seine Bureaus untergebracht hatte. Damals gab es noch keine Genfer Konvention, kein »Rotes Kreuz«, und als
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