Die Wahlverwandtschaften
Ebenbild.
Charlotte deutete auf einen Stuhl, und so saßen sie gegeneinander über, schweigend, die Nacht hindurch.
Ottilie lag noch ruhig auf den Knieen Charlottens; sie atmete sanft; sie schlief, oder sie schien zu schlafen.
Der Morgen dämmerte, das Licht verlosch, beide Freunde schienen aus einem dumpfen Traum zu erwachen.
Charlotte blickte den Major an und sagte gefaßt: »erklären Sie mir, mein Freund, durch welche Schickung kommen Sie hieher, um teil an dieser Trauerszene zu nehmen?« »Es ist hier«, antwortete der Major ganz leise, wie sie gefragt hatte als wenn sie Ottilien nicht aufwecken wollten, »es ist hier nicht Zeit und Ort, zurückzuhalten, Einleitungen zu machen und sachte heranzutreten.
Der Fall, in dem ich Sie finde, ist so ungeheuer, daß das Bedeutende selbst, weshalb ich komme, dagegen seinen Wert verliert«.
Er gestand ihr darauf ganz ruhig und einfach den Zweck seiner Sendung, insofern Eduard ihn abgeschickt hatte, den Zweck seines Kommens, insofern sein freier Wille, sein eigenes Interesse dabei war.
Er trug beides sehr zart, doch aufrichtig vor; Charlotte hörte gelassen zu und schien weder darüber zu staunen noch unwillig zu sein.
Als der Major geendigt hatte, antwortete Charlotte mit ganz leiser Stimme, sodaß er genötigt war, seinen Stuhl heranzurücken: in einem Falle, wie dieser ist, habe ich mich noch nie befunden, aber in ähnlichen habe ich mir immer gesagt: wie wird es morgen sein?
Ich fühle recht wohl, daß das Los von mehreren jetzt in meinen Händen liegt; und was ich zu tun habe, ist bei mir außer Zweifel und bald ausgesprochen.
Ich willige in die Scheidung.
Ich hätte mich früher dazu entschließen sollen; durch mein Zaudern, mein Widerstreben habe ich das Kind getötet.
Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartnäckig vornimmt.
Vergebens, daß Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen: es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mögen uns gebärden, wie wir wollen.
Doch was sag ich!
Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen.
Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht?
Habe ich nicht selbst beide einander zu nähern gesucht?
Waren Sie nicht selbst, mein Freund, Mitwisser dieses Plans?
Und warum konnte ich den Eigensinn eines Mannes nicht von wahrer Liebe unterscheiden?
Warum nahm ich seine Hand an, da ich als Freundin ihn und eine andre Gattin glücklich gemacht hätte?
Und betrachten Sie nur diese unglückliche Schlummernde!
Ich zittere vor dem Augenblicke, wenn sie aus ihrem halben Totenschlafe zum Bewußtsein erwacht.
Wie soll sie leben, wie soll sie sich trösten, wenn sie nicht hoffen kann, durch ihre Liebe Eduarden das zu ersetzen, was sie ihm als Werkzeug des wunderbarsten Zufalls geraubt hat?
Und sie kann ihm alles wiedergeben nach der Neigung, nach der Leidenschaft, mit der sie ihn liebt.
Vermag die Liebe, alles zu dulden, so vermag sie noch viel mehr, alles zu ersetzen.
An mich darf in diesem Augenblick nicht gedacht werden.
Entfernen Sie sich in der Stille, lieber Major.
Sagen Sie Eduarden, daß ich in die Scheidung willige, daß ich ihm, Ihnen, Mittlern die ganze Sache einzuleiten überlasse, daß ich um meine künftige Lage unbekümmert bin und es in jedem Sinne sein kann.
Ich will jedes Papier unterschreiben, das man mir bringt; aber man verlange nur nicht von mir, daß ich mitwirke, daß ich bedenke, daß ich berate«.
Der Major stand auf.
Sie reichte ihm ihre Hand über Ottilien weg.
Er drückte seine Lippen auf diese liebe Hand.
»Und für mich, was darf ich hoffen?« lispelte er leise.
»Lassen Sie mich Ihnen die Antwort schuldig bleiben«, versetzte Charlotte.
»Wir haben nicht verschuldet, unglücklich zu werden, aber durch nicht verdient, zusammen glücklich zu sein«.
Der Major entfernte sich, Charlotten tief im Herzen beklagend, ohne jedoch das arme abgeschiedene Kind bedauern zu können.
Ein solches Opfer schien ihm nötig zu ihrem allseitigen Glück. Er dachte sich Ottilien mit einem eignen Kind auf dem Arm, als den vollkommensten Ersatz für das, was sie Eduarden geraubt; er dachte sich einen Sohn auf dem Schoße, der mit mehrerem Recht sein Ebenbild trüge als der abgeschiedene.
So schmeichelnde Hoffnungen und Bilder gingen ihm durch die Seele, als
Weitere Kostenlose Bücher