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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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Baronesse so eifrig wünschte.
    »Jener Freund«, so fuhr er fort, »tat noch einen andern Gesetzvorschlag: eine Ehe sollte nur alsdann für unauflöslich gehalten werden, wenn entweder beide Teile oder wenigstens der eine Teil zum drittenmal verheiratet wäre.
    Denn was eine solche Person betreffe, so bekenne sie unwidersprechlich, daß sie die Ehe für etwas Unentbehrliches halte.
    Nun sei auch schon bekannt geworden, wie sie sich in ihren frühern Verbindungen betragen, ob sie Eigenheiten habe, die oft mehr zur Trennung Anlaß geben als üble Eigenschaften.
    Man habe sich also wechselseitig zu erkundigen; man habe ebensogut auf Verheiratete wie auf Unverheiratete achtzugeben, weil man nicht wisse, wie die Fälle kommen können«.
    »Das würde freilich das Interesse der Gesellschaft sehr vermehren«, sagte Eduard; »denn in der Tat jetzt, wenn wir verheiratet sind, fragt niemand weiter mehr nach unsern Tugenden noch unsern Mängeln«.
    »Bei einer solchen Einrichtung«, fiel die Baronesse lächelnd ein, »hätten unsere lieben Wirte schon zwei Stufen glücklich überstiegen und könnten sich zu der dritten vorbereiten«.
    »Ihnen ists wohl geraten«, sagte der Graf; »hier hat der Tod willig getan, was die Konsistorien sonst nur ungern zu tun pflegen«. »Lassen wir die Toten ruhen«, versetzte Charlotte mit einem halb ernsten Blicke.
    »Warum?« versetzte der Graf, »da man ihrer in Ehren gedenken kann.
    Sie waren bescheiden genug, sich mit einigen Jahren zu begnügen für mannigfaltiges Gute, das sie zurückließen«.
    »Wenn nur nicht gerade«, sagte die Baronesse mit einem verhaltenen Seufzer, »in solchen Fällen das Opfer der besten Jahre gebracht werden müßte!« »Jawohl«, versetzte der Graf, »man müßte darüber verzweifeln, wenn nicht überhaupt in der Welt so weniges eine gehoffte Folge zeigte.
    Kinder halten nicht, was sie versprechen, junge Leute sehr selten, und wenn sie Wort halten, hält es ihnen die Welt nicht«.
    Charlotte, welche froh war, daß das Gespräch sich wendete, versetzte heiter:» nun!
    Wir müssen uns ja ohnehin bald genug gewöhnen, das Gute stück- und teilweise zu genießen«.
    »Gewiß«, versetzte der Graf, »Sie haben beide sehr schöner Zeiten genossen.
    Wenn ich mir die Jahre zurückerinnere, da Sie und Eduard das schönste Paar bei Hof waren; weder von so glänzenden Zeiten noch von so hervorleuchtenden Gestalten ist jetzt die Rede mehr.
    Wenn Sie beide zusammen tanzten, aller Augen waren auf Sie gerichtet, und wie umworben beide, indem Sie sich nur ineinander bespiegelten!« »Da sich so manches verändert hat«, sagte Charlotte, »können wir wohl soviel Schönes mit Bescheidenheit anhören«.
    »Eduarden habe ich doch oft im stillen getadelt«, sagte der Graf, »daß er nicht beharrlicher war; denn am Ende hätten seine wunderlichen Eltern wohl nachgegeben; und zehn frühe Jahre gewinnen ist keine Kleinigkeit«.
    »Ich muß mich seiner annehmen«, fiel die Baronesse ein.
    »Charlotte war nicht ganz ohne Schuld, nicht ganz rein von allem Umhersehen, und ob sie gleich Eduarden von Herzen liebte und sich ihn auch heimlich zum Gatten bestimmte, so war ich doch Zeuge, wie sehr sie ihn manchmal quälte, sodaß man ihn leicht zu dem unglücklichen Entschluß drängen konnte, zu reisen, sich zu entfernen, sich von ihr zu entwöhnen«.
    Eduard nickte der Baronesse zu und schien dankbar für ihre Fürsprache.
    »Und dann muß ich eins«, fuhr sie fort, »zu Charlottens Entschuldigung beifügen: der Mann, der zu jener Zeit um sie warb, hatte sich schon lange durch Neigung zu ihr ausgezeichnet und war, wenn man ihn näher kannte, gewiß liebenswürdiger, als ihr andern gern zugestehen mögt«.
    »Liebe Freundin«, versetzte der Graf etwas lebhaft, »bekennen wir nur, daß er Ihnen nicht ganz gleichgültig war, und daß Charlotte von Ihnen mehr zu befürchten hatte als von einer andern.
    Ich finde das einen sehr hübschen Zug an den Frauen, daß sie ihre Anhänglichkeit an irgendeinen Mann solange noch fortsetzen, ja durch keine Art von Trennung stören oder aufheben lassen«.
    »Diese gute Eigenschaft besitzen vielleicht die Männer noch mehr«, versetzte die Baronesse; »wenigstens an Ihnen lieber Graf, habe ich bemerkt, daß niemand mehr Gewalt über Sie hat als ein Frauenzimmer, dem Sie früher geneigt waren.
    So habe ich gesehen, daß Sie auf die Fürsprache einer solchen sich mehr Mühe gaben, um etwas auszuwirken, als vielleicht die Freundin des Augenblicks von Ihnen

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