Spiel mit dem Tod
1. KAPITEL
Montag, 28. Februar 2005
1:30 Uhr
New Orleans, Louisiana
Stacy Killian öffnete die Augen, plötzlich hellwach. Wieder war das Knallen zu hören.
Pistolenschüsse.
Sie richtete sich auf, schwang die Beine über die Bettkante und nahm ihre Pistole aus der Schub lade des Nachttisches. Zehn Jahre Polizeidienst hatten sie darauf programmiert, blitzschnell auf dieses spezielle Geräusch zu reagieren.
Stacy ging zum Fenster und stellte sich hinter den Vorhang. Der Mond beleuchtete den Garten. Dürre Bäume, die Hundehütte, doch nirgends war Caesar, der Labrador-Welpe ihrer Nachbarin Cassie, zu sehen.
Kein Laut. Keine Bewegung.
Barfuß schlich sie mit erhobener Waffe ins angrenzende Arbeitszimmer. Stacy wandte sich schnell nach links, dann nach rechts, nahm jedes Detail wahr: die Stapel von Sachbüchern für das Referat, das sie über Shelleys „Mont Blanc“ vorbereitete, ihr aufgeklappter Laptop, die halb ausgetrunkene Flasche mit dem billigen Rotwein. Die Schatten. Die tiefe Dunkelheit. Die Stille.
Alles war wie immer. Das Geräusch, das sie geweckt hatte, war also nicht aus ihrer Wohnung gekommen.
Sie öffnete die Eingangstür, ging auf die Veranda hinaus und erschauerte in der kühlen, feuchten Nachtluft. Das morsche Holz knarrte unter ihren Füßen.
Die Nachbarn schienen zu schlafen. Aus einigen vereinzelten Fenstern fiel Licht, ein paar Terrassen waren beleuchtet. Plötzlich schepperte ganz in der Nähe ein umstürzender Müllcontainer. Kurz darauf Lachen. Wahrscheinlich Teenager, die sich in der städtischen Variante des Bullenreitens übten.
Sie runzelte die Stirn. War sie womöglich durch dieses Geräusch geweckt worden? Und hatte es im Halbschlaf und durch ihre etwas eingerosteten Instinkte falsch interpretiert?
Vor einem Jahr hätte sie diese Zweifel nie gehabt. Aber vor einem Jahr war sie noch Polizistin gewesen, Kriminalbeamtin beim Morddezernat in Dallas. Als sie noch nicht verraten worden war, eine Erfahrung, die ihr nicht nur das Selbstvertrauen geraubt, sondern sie auch gezwungen hatte, endlich gegen die Unzufriedenheit anzukämpfen.
Stacy streifte ihre verschmutzten Garten-Clogs über, die sie auf einem Regal neben der Tür aufbewahrte. Dann ging sie über die Veranda und stieg die Stufen hinunter in den Vorgarten.
Ihre Hände zitterten. Sie kämpfte gegen die Panik an, die Situation nicht richtig einschätzen zu können. Das war bereits passiert. Zweimal. Das erste Mal kurz nachdem sie eingezogen war. Durch Geräusche geweckt hatte sie alle Nachbarn in Hörweite aufgeschreckt.
Und beide Male, so wie heute, hatte sie nichts als eine ruhige, nächtliche Straße vorgefunden. Mit diesem falschen Alarm hatte sie sich bei ihren neuen Nachbarn nicht gerade beliebt gemacht. Die meisten von ihnen waren verständlicherweise sauer gewesen.
Cassie jedoch fand es als Einzige nicht schlimm. Die hatte Stacy gleich auf eine Tasse Kakao eingeladen.
Stacy sah zu Cassies Wohnung hinüber, zu dem Licht, das aus einem der hinteren Fenster fiel.
Sie starrte auf das beleuchtete Viereck, im Kopf das Knallen, das sie geweckt hatte. Die Schüsse waren so laut gewesen, dass sie von nebenan gekommen sein mussten.
Warum hatte sie das nicht sofort erkannt?
Von Angst gepackt rannte sie auf Cassies Verandatreppe zu, stürzte die Stufen hoch, stolperte und richtete sich gleich wie der auf, bemüht, sich zu beruhigen. Cassie schlief bestimmt tief und friedlich.
Stacy erreichte die Tür ihrer Freundin und klopfte an. Sie wartete, dann klopfte sie erneut. „Cassie!“ rief sie. „Ich bin’s, Stacy. Mach auf!“
Als keine Antwort kam, drehte sie am Türknauf.
Die Tür ließ sich öffnen.
Die Pistole mit beiden Händen umklammert, stieß sie die Tür mit dem Fuß auf und ging hinein. Absolute Stille empfing sie.
Sie rief noch einmal Cassies Namen. Und dann konnte sie sich nicht mehr länger einreden, dass ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt hatte. Cassie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Wohnzimmerboden. Ein großer, dunkler Fleck umgab sie. Blut. Eine Menge Blut.
Stacy begann zu zittern. Sie schluckte heftig, versuchte sich zu beherrschen. Neutral zu bleiben. Wie eine Polizistin zu denken.
Sie ging zu ihrer Freundin hinüber. Hockte sich neben sie und nahm eine professionelle Haltung ein. Distanzierte sich von dem, was geschehen war und davon, um wen es sich handelte.
Sie tastete nach Cassies Puls. Als sie nichts fand, betrachtete sie den Körper der Toten. Es sah aus, als wäre sie
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