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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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erlangt hätte«.
    »Einen solchen Vorwurf darf man sich wohl gefallen lassen«, versetzte der Graf; »doch was Charlottens ersten Gemahl betrifft, so konnte ich ihn deshalb nicht leiden, weil er mir das schöne Paar auseinandersprengte, ein wahrhaft prädestiniertes Paar, das, einmal zusammengegeben, weder fünf Jahre zu scheuen, noch auf eine zweite oder gar dritte Verbindung hinzusehen brauchte«.
    »Wir wollen versuchen«, sagte Charlotte, »wieder einzubringen, was wir versäumt haben«.
    »Da müssen Sie sich dazuhalten«, sagte der Graf.
    »Ihre ersten Heiraten«, fuhr er mit einiger Heftigkeit fort, »waren doch so eigentlich rechte Heiraten von der verhaßten Art, und leider haben überhaupt die Heiraten verzeihen Sie mir einen lebhafteren Ausdruck etwas Tölpelhaftes; sie verderben die zartesten Verhältnisse, und es liegt doch eigentlich nur an der plumpen Sicherheit, auf die sich wenigstens ein Teil etwas zugute tut.
    Alles versteht sich von selbst, und man scheint sich nur verbunden zu haben, damit eins wie das andere nunmehr seiner Wege gehe«. In diesem Augenblick machte Charlotte, die ein für allemal dies Gespräch abbrechen wollte, von einer kühnen Wendung Gebrauch; es gelang ihr.
    Die Unterhaltung ward allgemeiner, die beiden Gatten und der Hauptmann konnten daran teilnehmen; selbst Ottilie ward veranlaßt sich zu äußern, und der Nachtisch ward mit der besten Stimmung genossen, woran der in zierlichen Fruchtkörben aufgestellte Obstreichtum, die bunteste, in Prachtgefäßen schön verteilte Blumenfülle den vorzüglichsten Anteil hatte.
    Auch die neuen Parkanlagen kamen zur Sprache, die man sogleich nach Tische besuchte.
    Ottilie zog sich unter dem Vorwande häuslicher Beschäftigung zurück; eigentlich aber setzte sie sich nieder zur Abschrift.
    Der Graf wurde von dem Hauptmann unterhalten; später gesellte sich Charlotte zu ihm.
    Als sie oben auf die Höhe gelangt waren und der Hauptmann gefällig hinuntereilte, um den Plan zu holen, sagte der Graf zu Charlotten: »dieser Mann gefällt mir außerordentlich.
    Er ist sehr wohl und im Zusammenhang unterrichtet.
    Ebenso scheint seine Tätigkeit sehr ernst und folgerecht.
    Was er hier leistet, würde in einem höhern Kreise von viel Bedeutung sein«.
    Charlotte vernahm des Hauptmanns Lob mit innigem Behagen.
    Sie faßte sich jedoch und bekräftigte das Gesagte mit Ruhe und Klarheit.
    Wie überrascht war sie aber, als der Graf fortfuhr: »diese Bekanntschaft kommt mir sehr zu gelegener Zeit.
    Ich weiß eine Stelle, an die der Mann vollkommen paßt, und ich kann mir durch eine solche Empfehlung, indem ich ihn glücklich mache, einen hohen Freund auf das allerbeste verbinden«.
    Es war wie ein Donnerschlag, der auf Charlotten herabfiel.
    Der Graf bemerkte nichts; denn die Frauen, gewohnt, sich jederzeit zu bändigen, behalten in den außerordentlichsten Fällen immer noch eine Art von scheinbarer Fassung.
    Doch hörte sie schon nicht mehr, was der Graf sagte, indem er fortfuhr: »wenn ich von etwas überzeugt bin, geht es bei mir geschwind her.
    Ich habe schon meinen Brief im Kopfe zusammengestellt, und mich drängts, ihn zu schreiben.
    Sie verschaffen mir einen reitenden Boten, den ich noch heute abend wegschicken kann«.
    Charlotte war innerlich zerrissen.
    Von diesen Vorschlägen sowie von sich selbst überrascht, konnte sie kein Wort hervorbringen.
    Der Graf fuhr glücklicherweise fort, von seinen Planen für den Hauptmann zu sprechen, deren Günstiges Charlotten nur allzusehr in die Augen fiel.
    Es war Zeit, daß der Hauptmann herauftrat und seine Rolle vor dem Grafen entfaltete.
    Aber mit wie andern Augen sah sie den Freund an, den sie verlieren sollte!
    Mit einer notdürftigen Verbeugung wandte sie sich weg und eilte hinunter nach der Mooshütte.
    Schon auf halbem Wege stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und nun warf sie sich in den engen Raum der kleinen Einsiedelei und überließ sich ganz einem Schmerz, einer Leidenschaft, einer Verzweiflung, von deren Möglichkeit sie wenig Augenblicke vorher auch nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte.
    Auf der andern Seite war Eduard mit der Baronesse an den Teichen hergegangen.
    Die kluge Frau, die gern von allem unterrichtet sein mochte, bemerkte bald in einem tastenden Gespräch, daß Eduard sich zu Ottiliens Lobe weitläufig herausließ, und wußte ihn auf eine so natürliche Weise nach und nach in den Gang zu bringen, daß ihr zuletzt kein Zweifel übrigblieb, hier sei eine Leidenschaft nicht

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